Alle reden vom Wetter — wir auch

Wer’s nicht mehr kennt: die Überschrift ist natürlich ein Seitenhieb auf der Bundesbahn angeberischen Slogan “Alle reden vom Wetter. Wir nicht”, mit dem sie in den späten 60er Jahren ihren systemimmanenten Vorteil der relativen Unempfindlichkeit gegenüber widriger Witterung pries. Seitdem hat sich einiges geändert. Nicht so sehr bei der Bahn, sondern wohl hauptsächlich bei den anderen Verkehrsträgern, allen voran der Gummikonkurrenz, die in dieser Zeit ja den Sprung vom 6-Volt-Käfer zum ESP-bewehrten, xenonbeleuchteten und klimatisierten High-Tech-Automobil geschafft hat.

Nicht daß die Bahn nicht auch High-Tech-Züge hätte (auch wenn da noch mehr aus den 60er Jahren rumfährt, als man gemeinhin denkt oder der Normalkunde bemerkt). Das ändert an einer Sache aber nix: daß der Systemvorteil, nicht auf Sicht fahren zu müssen (und deshalb auch bei Nebel noch pünktlich sein zu können), zum Systemnachteil wird, nicht auf Sicht fahren zu können, wenn Bäume auf den Gleisen liegen. Analog wandelt sich dann auch der Vorteil, als spurgeführtes Verkehrsmittel nicht ins Schleudern kommen zu können (und deswegen auch bei Schnee und Eis noch ganz gut zu funktionieren, zumindest bis die Weichen einfrieren), zum Nachteil, die herumliegenden Bäume nicht einfach umfahren zu können. (Oder zugegebenermaßen auch gar nicht fahren zu können, wenn diese Bäume die Fahrleitung mit runtergerissen haben.)

Das allerdings dann auch einzusehen und zu sagen: hört mal, da liegen überall Bäume auf den Gleisen, und wo jetzt noch keine liegen, da liegen vielleicht in 5 Minuten welche, also laßt uns mal den Verkehr komplett einstellen — dazu gehört indes Mut. Der Mut, die gewißliche Verärgerung tausender Fahrgäste, die nun in Kleinkleckersdorf Hbf festsaßen, und die Häme von Lästermäulern wie mir inkaufzunehmen für die Sicherheit, dann wenigstens nicht mit Bäumen zu kollidieren oder auf freier Strecke gestrandete Züge evakuieren zu müssen. Für diesen Mut sei den Verantwortlichen an dieser Stelle höchster Respekt gezollt.

Und das ist denn auch etwas, was man sich als möglicherweise angefressener Fahrgast nach 24-stündiger Verspätung fragen sollte: Wäre ich wirklich glücklicher, wenn ich mir stattdessen bei dem Schlag, der durch den Zug ging, als er in den Baum krachte, die Stirn an einem Garderobenhaken aufgeschlagen hätte, ich dann in einem dunkeln und ungeheizten Zug aufs Eintreffen der Rettungskräfte hätte warten müssen, mir dann beim Stolpern ins Schotterbett den Fuß verknackst hätte und zum Abschluß noch bei strömendem Regen und Orkanböen durch den knöcheltiefen Matsch eines Ackers zu den auf einem nahen Feldweg wartenden Bussen des THW hätte waten müssen?

Nee, die Verkehrseinstellung geht schon in Ordnung. Das mit dem Auf-Sicht-und-um-die-umgestürzten-Bäume-herum-Fahren hat ja auch, wie man so hört, die Gummikonkurrenz nicht immer so elegant hinbekommen und darum auch einige Todesopfer (und vermutlich einige Quadratkilometer verformten Blechs) zu beklagen.

Das einzig Peinliche, was der Bahn im Zuge dieses Orkans widerfahren ist, hat nur am Rande was mit Schienenfahrzeugen zu tun. Ich rede natürlich von Berlin Hauptbahnhof, wo dieser Stahlträger aus der Dachkonstruktion gefallen ist und zufällig niemanden erschlagen hat. Hallo? Liebe Architekten und/oder Bauingenieure: entweder war das ein tragendes Teil, dann hätte es eigentlich nicht abfallen können, oder es war ein Zierteil, aber warum zum Geier wiegt es dann ein paar Tonnen? Ich weiß jetzt echt nicht, welche dieser Alternativen mir mehr Angst macht. Daß man aber auch aus tonnenschweren Stahlträgern orkanfeste Bahnsteighallen bauen kann, ist, wie zahlreiche noch stehende solche beweisen, schon seit 100 Jahren Stand der Technik. Wer heute trotzdem so einen Scheiß konstruiert, sollte zur Strafe in einem selbstentworfenen Haus wohnen müssen.

Und zwar im Oberharz.

5 Kommentare

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    • Arno Nym auf 20. Januar 2007 bei 8:57
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    Moin Dieter,

    stell dir das mal alles nicht so leicht vor. In einer Welt neuer Ideen und ewigen Zeitdrucks (Fußball-WM) da kann man Zierelemente in 40m Höhe nicht so einfach befestigen, nein da gibt es Sicherheitskonzepte, die auf der Theorie eines gewissen Herrn Newton beruhen. Das Ding ist so schwer, damit es nicht runterfällt. Befestigt ist es nicht, das hätte ja Zeit gekostet und Zeit hatte man nicht, sonst hätte man ja nicht ein Haufen Geld dafür ausgegeben das Dach der Bahnsteighalle kürzer zu bauen. Vielleicht hat man ja auch keine Statik gemacht, oder die Zeit für die Statik war nicht da. Wenn ich etwas nicht festschraube oder verschweisse, dann brauche ich auch nicht die Schweissverbindungen oder die Schrauben zu bemessen, das spart massiv Zeit. Im übrigen auf der Treppe wo das Ding gelandet ist, war seit der WM kein Mensch mehr. Also, alles nicht so wild.

    Der Arno.

    • Tobias auf 20. Januar 2007 bei 13:00
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    Noch viel peinlicher: Der Stahlkonzern Arcelor Mittal hat noch am Dienstag in der Süddeutschen Zeitung eine Anzeige geschaltet, in der sie sich rühmen, dass der Hauptbahnhof-Stahl von ihnen kommt: http://www.flickr.com/photos/58073365@N00/

    Schlechtes Timing!

    • Stefan auf 20. Januar 2007 bei 12:54
    • Antworten

    Ein selbstentworfenes Haus? Das kann doch gar nicht so schwer sein! Ich mein, guckt euch so ne Burgen im Mittelalter an. Das haben die ohne Wasserwaage und so n Zeuch hinbekommen. Da werd ich doch als studierter noch so n Einfamilienhaus zusammengebaut bekommen oder was?

    1. Nee nee: die haben das im Mittelalter hinbekommen, eben weil sie keine High-Tech-„Lösungen“ hatten. Da mußte man eben beim Material ranklotzen, wenns halten sollte. Abgesehen davon ist damals sicher auch einiges zusammengebrochen, nur wird uns das nicht so bewußt, weil das, was heute noch steht von damals, eben gut gebaut ist und wir das unbewußt verallgemeinern.

  1. Die FAZ hat auch einen netten Verriss über den Berliner Hauptbahnhof geschrieben.

    Anscheinend will die DB seit dem Vorfall und wegen dem Vorspiel mit dem Architekten zukünftig keine gängigen Architekten-Verträge mehr eingehen, in denen dem Archtitekt das letzte Wort zugesprochen wird, sondern dem Auftraggeber…

    Achja, und das tonnenschwere Teil war anscheinend nur Zierde…

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