Minimalismus als Kunstform

Einmal mehr, der geneigte Leser ahnt’s wohl bereits, soll es hier um Automobile gehen. Diesmal möchte ich das Verschwinden einer besonderen Form des automobilen Minimalismus beklagen. Klar, auch heutzutage gibt’s noch einige erschütternd karge Kisten zu kaufen, und da muß man gar nicht ins ferne Rumänien nach Dacia hin, es reicht schon ein VW Fox aus dem viel näheren … äh … Brasilien: außen kein Design, nicht mal schlechtes, und innen in Hartplastik gegossene Freudlosigkeit.

Aber was Wunder, diese Art von Minimalismus meine ich gar nicht. Sondern vielmehr eine, bei der man als Betrachter und Benutzer merkt: die, die das entwickelt haben, hatten Spaß daran. Die haben nicht einfach ein konventionelles Design genommen und solange daran rumgespart, bis es ins Budget paßte, sondern sich vorher einen Kopp gemacht, wie man die gestellte Aufgabe anders (und billiger) realisieren kann.

Auch wenn’s schon vor ihr solche Autos gab (ein Paradebeispiel wäre, wenn’s denn noch jemand kennte, das Hanomag-„Kommißbrot“), ist das kanonische Beispiel für so ein Auto selbstverständlich Citroëns „Ente“. Alles drin und alles dran, was der Mensch nebst Korb voll Eiern braucht, um heil von A nach B zu kommen, auch wenn dazwischen mal ein Acker liegen sollte, und aber zumindest ursprünglich nix, aber auch sowas von gar nix von alledem, was der Mensch nur zu brauchen meint: Leistung, Geräuschdämmung, Aufprallsicherheit oder einen Ipod-Anschluß gar. Wo andere Autos auch damals schon ein Armaturenbrett zu brauchen meinten, hat die Ente ein Kästchen mit zwei Uhren, aus dem ein paar Schalter unmotiviert herausragen. Mehr nicht. Wozu auch, es reicht ja.

Und dennoch kommt in der Ente Freude auf. Das den Eckdaten nach eher zu einem untermotorisierten Kraftrad passende Motörchen schnattert aufgeregt, aber verläßlich vor sich hin und versetzt die beängstigend dünnblecherne, eher weniger ver- als lediglich läßlich zusammengebastelte Fuhre auf Anforderung tatsächlich in eine Art beschleunigtes Watscheln, das zu jedem Zeitpunkt schneller anmutet, als es ist. Und man freut sich drüber! Unwillkürlich wird jeder Berg, nein, jeder Hügel — ach was: jede größere Fahrbahnunebenheit zu einer Herausforderung, die es gemeinsam mit dem Vehikel zu bezwingen gilt, und hat man dies geschafft, so möchte man auf dem Weg bergab mit dem Triebwerk um die Wette jubeln. Im Blickfeld türmt sich die von draußen gar nicht so gewaltige Motorhaube, als gehöre sie zu einem Vorkriegs-Bugatti, und dennoch erkennt man durch die verglasten Schießscharten genug von der Umgebung, um zumindest nicht dagegenzufahren. Und je öfter man mit der Ente im Dreck gespielt hat, umso sicherer ist man sich, auch dann anzukommen, wenn zum Ziel keine Straßen mehr führen sollten. Komisch eigentlich, den Abstandsassistenten vermißt man irgendwie schon gar nicht mehr. Und auch sonst nix.

Solche Talente hatten früher durchaus auch andere Autos, der erste VW-Bus etwa oder auch der ganz frühe Mini, bevor er einerseits zum mega-erfolgreichen Rennwagen und andererseits zum ersten Lifestylepremiumschickimickikleinwagen überhaupt mutierte. Aber irgendwie ist derlei in den letzten paar Jahrzehnten aus der Mode gekommen. Das m.E. letzte Gefährt, in dem dieser zur Kunstform gewordene Minimalismus noch zu spüren war, war der erste Fiat Panda. Mit Hängemattenstoff überzogene Stahlrohrgestelle als verblüffend bequeme Sitze (und dafür aber auch eine Rückbank, deren Variabilität heutigen Minivans die Schamröte ins verquollene Antlitz treiben sollte!), ein mit Teppich überzogenes Armaturenbrett mit verschiebbarem Aschenbecher als einzigem Feature und aber auch solch unauffällige, aber clevere Details wie ausschließlich plane Fensterscheiben, für die einem notfalls jeder Autoglaser passenden Ersatz schneiden kann, auch in Katmandu. Gut, besonders untermotorisiert war die leichte Büchse trotz in der Basisversion leicht entenmäßiger Eckdaten nicht mehr, im Gegenteil: man konnte damit in guter italienischer Tradition schon sehr behende durch die Stadt wuseln, und je enger desto besser; trotzdem fand auch technisch nicht viel mehr als das Nötigste statt, und sogar das Reserverad kam noch im Motorraum unter.

Und heute? Heute sehen Billigautos eben genauso aus wie normale Autos. Nur halt billiger. Man läßt alles weg, was irgendwie schick ist oder bequem oder praktisch, und wundert sich dann, daß die häßliche unbequeme unpraktische Kiste wenn auch vielleicht Käufer, so doch keine Fans mehr findet. Und die Leute, die in der Lage sind, eines Autotyps Fan zu sein (wofür man zugegebenermaßen schon eine eigene Art Mensch sein muß), wenden sich dann eben den Old- und Youngtimern zu oder den mit Gewalt kosmetisch auf kultig getrimmten Karren vom Schlage eines VW New Beetle, neuen Mini oder auch neuen Fiat 500. Ob diese Beziehung aber von Dauer ist? Die beiden Entenfahrer, die ich gut kenne, haben ihre Ente jeweils mehr als ein Jahrzehnt gefahren (ja, jeweils dieselbe Ente). Bei den neuen Möchtegern-Kultautos würde es mich schon arg überraschen, wenn die normale Haltedauer die Zeit bis zur Präsentation des nächsten neuen Möchtegern-Kultautos wesentlich übersteigt.

Wann also baut mal wieder jemand ein wirklich minimalistisches neues Auto? Jedesmal, wenn ich in den letzten Jahren bei der Präsentation eines Prototypen dachte, hey, der könnte es werden (und das war nicht oft der Fall), sah ich mich vom späteren Serienmodell herb enttäuscht. Derzeit setze ich meine Hoffnung auf den Citroën C-Cactus. Und nein, keine Bange: die Luft anhalten werde ich deswegen nicht.

1 Kommentar

  1. Hachja, da fühlt man sich direkt gebauchtpinselt. Zumindest ein bißchen.

    Tja, da fahre ich nun seit 1993, also seit mittlerweile *andenfingerabzähl* knapp 16 Jahren *selbststaun* die laut Papieren immer noch die selbe Ente wie an meinem 18. Geburtstag. (Aus diesen Angaben mein Alter auszurechen sei dem Leser als Übungsaufgabe überlassen.) auch wenn die Papiere mittlerweile wegen Auswanderung nicht mehr die gleichen wie damals sind.

    3 Jahre alt, 16000km auf der Uhr, Garagenwagen und 8000 DM waren das damals. Im Juni wird sie 20 Jahre alt, der Tacho zeigt irgendwas um die 70000km an, was bedeutet, daß sie um die 275000km runter hat. 200000km, weil der Tacho bereits dreimal in seinem Leben 00000 angezeigt hat und 5000km, weil mit der Karossserie auch der Tacho gewechselt wurde und diese halt etwa 5000km weniger anzeigte als der, der vorher drin war.

    Karosserie gewechselt? Jepp, nicht nur die Papiere wurden ausgetauscht, sondern mit der Zeit auch Fahrgestell, Motor, Getriebe, Karosserie, Vorderachse, Sitze, Lenkrad, Motorhaube, …

    Es ist für mich mittlerweile einfacher aufzuzählen, was alles an der Ente noch nicht ersetzt wurde: Hinterachse (Schwingarmlager ausgenommen), Benzintank (Schwimmer für die Tankuhr ausgenommen), hintere Kotflügel (die sind dieses Jahr allerdings auch fällig), Scheinwerfertöpfe (aber nicht die -einsätze), Schaltknauf (aber nicht -hebel), hintere Stoßstange, … ähm, und dann wird’s schwierig. Ah, der Reserverradhalter noch. Der ist zwar nicht original ab Werk, aber Original Citroën-Zubehör und drin seit ich das Ding besitze.

    Entsprechend ist die Ente auch nicht mehr weiß wie sie es beim Kauf war, sondern hat eine rote Karosserie und rote Türen, mit weißem Dach, weißer Motorhaube und weißen Kotflügeln. Kurz gesagt: 70er Jahre Feuerwehrfarben.

    Und sie ist seitjeher Alltagsauto, wenn auch nicht mehr ganz die 30000km pro Jahr, die ich zu Studentenzeit damit gemacht habe. Den größten Batzen Kilometer bekommt sie seit einigen Jahren immer im Urlaub auf die Uhr: 2007 war ich damit in Schweden, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich und Deutschland, 2008 wieder in Dänemark, Holland, Belgien und Luxembourg und dieses Jahr geht’s wieder mindestens nach Holland, vielleicht auch noch nach Tschechien.

    Entsprechend sieht sie auch aus: Matter Lack, hier eine kleine Schramme, dort ein Kratzer, da eine kleine Beule in der Stoßstange. Das geht soweit, daß mir meine Werkstatt schon eine in neuem Lack erstahlende Ente angeboten hat. Aber was soll ich mit so einer Ente? In die Garage stellen? Da steht aber schon ein CX Break, der auf Restauration wartet.

    Mit solch einer Hochglanzente würde ich mich entweder sicher nicht mehr über jeden Feldweg trauen, Schotter- und Schlaglochpisten nicht mehr mit 70km/h nehmen (Hach, Schweden war geil!) und nicht mehr mit Schneeketten den Schwarzwald bei Neuschnee überqueren, oder aber sie würde schnell wieder wie ein intensiv genutztes Fahrzeug aussehen. Schließlich fahre ich kein Museumsstück sondern ein Fahrzeug mit Charme, Charakter und Geschichte. Solche und solche Geschichte…

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