Das war er nun also, mein erster Zollgut-Transport. Als kleine Chronologie des ganz alltäglichen Wahnsinns sei er hier verewigt.
Freitag, gegen 21:00: Der Lastzug wird bei der frachtführenden Spedition in B. mit Zollgut aus aller Herren Länder, bestimmt für einen Automobilhersteller in N., beladen und anschließend auf einem unbewachten, unverschlossenen Parkplatz übers Wochenende abgestellt.
Montag, 6:00: Ich übernehme den Lastzug und finde keine Frachtpapiere in selbigem. Anruf bei der Spedition: Ja, die müssen noch hier liegen, komm mal ins Büro.
6:45: Du wirst Dich noch bis 8:00 gedulden müssen, da bekommen wir erst die Zollverschlußbescheinigung vom Aufbauhersteller.
8:50: Nee, gibt keine Zollverschlußbescheinigung, fahr mal so zum Zoll.
8:56, unterwegs zum Zollamt: Anruf von der Spedition, komm mal zurück und stell Dich an Tor 3 zum Abladen. — Wie, abladen? — Ja, Du mußt erstmal leer zum Zoll, damit die das Fahrzeug begutachten können, dann beladen wir Dich wieder, und dann kannste zum Verzollen fahren.
9:20: Nee, mach mal wieder zu, Du kannst doch beladen zum Zoll, die nehmen Dich so ab.
10:15, beim Zollamt am anderen Ende von B.: Warten.
10:40: Der Zöllner kommt raus und beäugt mißtrauisch den Lastzug. So Planenzüge sind ja normal ungeeignet für Zollgut, sagt er. Läßt sich erstmal erklären, daß man so eine Gardinenplanen-Wechselbrücke mit einer durch alle Tür- und Planenverschlüsse gefädelten Zollschnur durchaus so verschließen kann, daß man, ohne die Schnur oder die Plombe zu zerschneiden, schon eine Blechschere braucht, um reinzukommen. Wann hat der Mann zuletzt einen Lastwagen gesehen, 1983? Ich beginne an der Kompetenz der Beteiligten zu zweifeln. Leise.
10:50: Dann fahren Sie mal an die Rampe, ich begutachte dann mal stellvertretend eine Palette. Nein, keine zufällig ausgewählte — die ganz hinten auf dem Hänger stehende. Hoffentlich ist in den anderen kein Rauschgift, sage ich. Findet er nicht lustig.
11:35: Nach dem Öffnen der Palette, fachmännischer Begutachtung des Inhalts (Steuergeräte, hm, steht dieselbe Nummer drauf wie außen auf dem Zettel) und Wiederverschließen (mit zwei 4*6 cm großen grünen Aufklebern, sonst nix) darf ich den Lastzug wieder von der Rampe wegfahren, zumachen und die Zollschnüre einfädeln. In die vordere der Wechselbrücken hat der Zöllner nicht mal einen Blick geworfen. Mich beschleichen erste Unsicherheiten am Sinn des Theaters.
11:50: Verplombung.
12:30: Papiere fertig, Abfahrt nach N. Zeitfenster zum Entladen: 17:45, bei 6 Stunden Fahrzeit zzgl. Pausen. Neues Zeitfenster für den kommenden Morgen beantragt.
Dienstag, 5:30: Anmeldung bei der LKW-Steuerstelle in N. Oh, sagt die Dame, Zollgut? Desch kann dauern. Wir melde uns.
7:30: Anruf, Papiere holen. Ich soll zur Spedition F. fahren, dort werde ein Teil entladen, der Rest dann bei einem Außenlager. Normal. Sag mal, fragt er, wann warsch Du hier? 5:30, sag ich. Wieso haben die Dich net glei nausgeschickt? Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
7:40, bei der Spedition. Oh, sagt die Dame, Zollgut? Desch kann dauern. Wir melde uns.
9:20: Anruf, Papiere holen. Das geht alles ins Außenlager. Auch gut, mir solls recht sein.
9:25, unterwegs zum Außenlager: Anruf von der Spedition in B., ich solle mich nicht wundern, wenn da zwei Paletten ohne Papiere seinen, es könne wohl sein, daß die noch in B. lägen. Hochwichtig verplombt und versiegelt, aber sowas fällt nicht auf. Ich bekomme eine erste Sinnkrise.
9:35, Anmeldung am Außenlager. Oh, sagt die Dame, Zollgut? Desch kann dauern. Ich habe ein Deja-Vu. Ja, desch muß alles no gebuucht werre. Frage, was denn die Steuerstelle und die Dame von der Spedition F. je knapp zwei Stunden lang mit den Papieren gemacht hätten? Ja nix. Ah. Achso. Wir melde uns.
11:30: Kurze Zwischeninfo: Man habe schon seit Stunden rotglühende Telefonleitungen mit der Zollabteilung der Steuerstelle. Die Gestellungsfristen seien nicht eingehalten. Isch denn da ne Zollplombe am Fahrzeug? Ja, sag ich, klar. Antwort: Ach. Auch das noch. Na dann können wir ja erstmal warten, bis der Zoll hier isch. Kann sich nur um Stunden handeln. Mir fehlen die Worte. Ich lächle fein und nicke brav.
16:30: Kein Tippfehler. 16:30 wurde mir verkündet, in einer Stunde gehe es los mit dem Entladen. Ich handle aus, daß es dann doch bitte erst in 2:10 Stunden losgehen möge, dann ist nämlich meine vorgeschriebene Neun-Stunden-“Nachtruhe”-Pause voll. Geht klar. Angeblich.
17:25: Das “Steuergerät” (Händi würden normale Menschen sagen) teilt mir (per SMS) mit, ich möge doch mal zum Außenlager fahren. Knapp acht Stunden nach meiner Ankunft dort. Ich bestätige (auch per SMS) meine Ankunft. Wo man mich bis dato wähnte, weiß ich nicht. Ist mir aber auch wurscht.
20:00: Ich darf ans Tor fahren. Nach kurzer Diskussion, wer denn überhaupt fürs Entfernen der Zollplomben zuständig sei, darf ich sogar die Planen aufmachen. Ja, mehr noch: Relativ bald kommt sogar ein Stapler, und ich werde entladen! Doch! Ehrlich! Wenn ich’s doch sage!
21:20: Auto leer. Von den zwei Paletten ohne Papiere keine Spur. Glück gehabt. Und nein, ich will auch gar nicht wissen, wo die nun abgeblieben sind. Jetzt nur noch auf Papiere warten. Wir müsse das alles kontrolliere. Ich will nicht drängeln, jetzt ist es eh egal, ich will nur bitte wissen, wie lange das dauern wird? E Stund? Macht man. Nur keine Hektik.
22:30: E gude Stund isses dann doch noch geworden. Was immerhin den Vorteil hat, daß ich beim Abgeben des “Steuergeräts” dieselbe Dame wieder treffe, die es mir vor 17 Stunden ausgehändigt hatte. Die ist dann auch angemessen verdutzt. Und fragt nach nochmaliger Durchsicht der Papiere, warum die mich denn zur Spedition F. geschickt hätten, für die hätt ich doch gar nichts draufgehabt. Das, so ich, erkläre dann immerhin, warum sie mich da nicht hingeschickt hätte — könne sie dann ja nachher der Frühschicht ausrichten, die hätten mich das gefragt.
Ja. So läuft das, wenn’s dumm läuft. Denkt mal vielleicht dran, wenn Euch mal wieder ein Laster im Weg herumfährt oder so — vielleicht hat das arme Schwein da auf dem Bock auch gerade sowas oder Schlimmeres hinter sich …
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