Vor einiger Zeit verschlug es mich mal wieder in ein größeres Automobilwerk. Dort, wenn auch nicht nur dort, gibt es den schönen Brauch, Lastwagen, die nicht nur eine Sorte Material geladen haben, kreuz und quer durchs Werk zu schicken, von einer Abladestelle zur anderen. Ist ja auch logisch — große Werke verfügen ja grundsätzlich nicht über solch Gerät wie Gabelstapler, Elektrokarren mit Plattformanhängern oder auch ganz normale Lastwagen aller Größen, um ihr Material selber innerhalb des Werkes von A nach B zu verbringen. Nein nein, wenn das nicht genau an der richtigen Stelle abgeladen wird, dann müssen die armen Fließbandarbeiter sich das selber zusammensuchen. In ihrer Freizeit.
Das ist aber für unsereinen auch alles gar nicht so furchtbar schlimm — gut, es ist die n-fache Arbeit, aber was soll’s –, zumindest solange sich der Warenversender, die LKW-Steuerstelle und die empfangenden Abladestellen auch einig sind, wo denn die Ware hinsoll. (Was passiert, wenn das nicht der Fall ist, hat übrigens ein Kollege hier sehr schön aufgeschrieben.) Dann noch ein bißchen Freundlichkeit und gesunder Menschenverstand auf beiden Seiten, und alles ist gut.
Das ist der Regelfall. Und daß das der Regelfall ist, möchte ich hier auch nochmal ausdrücklich betonen.
Eine der Teilladungen neulich bestand nun aus einem Kanister Schneidöl nebst Einwegpalette, Gesamtgewicht laut Frachtbrief stolze 29 kg, zu entladen in Halle 2. Und das “in” ist hier wörtlich zu nehmen: mitten in der Halle, bestimmt einige 100 Meter weg von Frischluft, Sonnenschein und dem Gevögel der Zwitscher rollte mein noch vollbeladener Sattelschlepper auf den Entladeplatz 2. Auf Entladeplatz 1 war ein osteuropäischer Kollege gerade am Plane-Zumachen. Prima, dachte ich mir — schnell die Papiere gegriffen und hin zum Bürocontainer. Pause von 12:00 bis 12:45, steht an der Tür. Paßt — es ist 11:57.
“Moin. Ich hab nur einen Kanister Schneidöl für Euch — magste schomma unterschreiben, ich stell ihn Dir in der Zeit neben die Tür?”
“Ja klar, danke, mach mal.”
Das war der Dialog, der sich abspielte. Also in meinem Kopf. In der Realität lief er ein bißchen anders:
“Moin. Ich hab nur …”
“Jetzt ist Mittag!”
“Ja, ich weiß, aber ich hab doch nur …”
(kuckt aus dem Fenster) “Und überhaupt, wieso fährst Du eigentlich unangemeldet auf den Entladeplatz? Ihr sollt doch auf dem Wartestreifen warten!”
“Wußt ich nicht. Aber ich hab …”
“Du fährst jetzt sofort zurück zum Wartestreifen und meldest Dich dann um 12:45 wieder hier.”
“Aber ich …”
“Ich sag Dir das nicht nochmal!”
Okay. Okay. Der Kunde ist König. Zähne zusammenbeißen, “ok bis dann” murmeln, 60 Meter in der engen und recht dunkeln Halle mit viel (eingebildetem, s.o.) Stapler- und Elektrokarrenverkehr rückwärtsfahren, auf dem Wartestreifen parken, nach hinten gehen, Kanister losgurten und auf seiner Einwegpalette schön demonstrativ mitten auf die Ladekante stellen. Und dann eben auch Mittag machen. Draußen in der Sonne wär’s netter gewesen, aber wenn man die Ohrenlider ganz fest zusammenkneift, ist das Piepen der Rückfahrwarner der eingebildeten Gabelstapler fast wie Zwitschergevögel.
Und um 12:45 dann eben wieder im Bürocontainer, Papiere abgeben. Die fliegen ungelesen in eine Ablage, “dann fahr mal auf Platz 2 und mach auf”. Mach ich. Auf Platz 1 steht übrigens immer noch derselbe osteuropäische Kollege. Mußte wohl noch auf seine Frachtpapiere warten — jaja, so ne Mittagspause ist heilig, da kann man nicht mal eben einen Stempelabdruck und ne Unterschrift, wo kommen wir denn da hin?
Ich sitze nach dem Einparken am Steuer und warte auf den Stapler. Kaum 10 min später kommt er auch schon. Heraus springt derselbe Typ, “ich hab Dir doch gesagt Du sollst aufmachen!” brüllt er mich an. Ich weise nur mit dem Daumen Richtung Heck und meine, “ist doch offen”.
Er fährt nach hinten, ich folge zu Fuß und treffe rechtzeitig ein, um mitzuerleben, wie er offensichtlich erstmals die Papiere liest. Blick in den Auflieger, Blick auf den Frachtbrief, fragender Blick zu mir:
“Wie, nur die eine Kanne?”
“Ja klar.”
“Das hättste doch auch sagen können.”
“Das hab ich vorhin dreimal versucht, Dir zu sagen.”
“…?”
“Nu lad schon ab, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Da ist auch Engpaßware drauf, weißt Du.”
Aber man muß den Mann auch verstehen. Wenn ich den ganzen Tag in so ner stickigen Halle zubringen müßte, würde mein Hirn auch verkümmern.
Und in der nächste Folge erzähl ich dann, wie ich am selben Tag den Betrieb in Halle 19 für anderthalb Stunden lahmgelegt habe, ohne sie zu betreten.
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