Der gefährlichste Ort Norddeutschlands

Der gefährlichste Ort Norddeutschlands ist das Versandbüro eines großen Spanplattenwerks. Dort bekommt man seine Frachtpapiere schon seit Menschengedenken nur, wenn man in Warnweste aufkreuzt — gut, draußen vor der Tür rangieren die Stapler, und zwar nicht so kleine piffelige, sondern dicke Brocken, die Dir mal eben 12 Tonnen Spanplatte in einem Hub auf die Ladefläche knallen können, von sowas will man nicht angefahren werden, da ist so ne Warnweste keine schlechte Idee.

Vor ein paar Monaten meinte dann der Versandtyp: “Wo ist Dein Helm?” Unterm Beifahrersitz, meinte ich, wo er hingehört. “Dann hol den mal, sonst gibts keine Papiere.” Ich war leicht verdutzt, da man beim Aufliegerwechsel ja nun wirklich nicht der Gefahr fallender Bretter ausgesetzt ist, aber naja, Vorschrift ist Vorschrift, was solls, ich setz den Helm auf und er gibt Ruhe. Auch wenn der so rein gar nix bringt, sollte man unter die 12 Tonnen Spanplatte geraten. Außer verlängertem Leiden vielleicht — ein zermatschtes Hirn fühlt wenigstens nix mehr vom zermatschten restlichen Körper, oder?

Egal.

Heute war ich wieder da, natürlich mit Warnweste und Helm. “Wo ist Deine Schutzbrille?” — “Hab ich nich.” — “Wie, hast Du nich?” — “Zum Trailerwechseln?” — “Ich diskutier nicht mit Dir, sonst diskutier ich das jeden Tag mit 20 von Euch durch. Nächstes Mal mit Schutzbrille, kapiert? Sonst keine Papiere.” — “Kein Kommentar.”

Bis hierher: Normal. Aber jetzt mischt sich sein Kollege ein: “Wenn Du mit solchen Sprüchen anfängst, von wegen ‘Kein Kommentar’ und so, dann stellt der Kollege gleich die Arbeit an Deinen Frachtpapieren ein, und wir lassen Dich mal drei Stunden stehen, ist das klar?”

Also, hör mal zu, Du Hackfresse: “Kein Kommentar” ist so ziemlich das Gegenteil von einem “solchen Spruch”. Das sagen sogar Politiker, wenn sie sagen wollen, daß sie nichts sagen wollen. Wenn Du das schon als Affront auffaßt, dann setz Dich lieber erstmal, bevor Du weiter zuhörst, denn jetzt kommen die richtigen Antworten:

Erstens ist das mit der Schutzbrille (und auch schon das mit dem Helm) reinste Schikane. Selbst wenn das so in Euren Vorschriften steht, könntet Ihr das gerade beim Trailertauschen problemlos übersehen — wenn ich da selber beim Beladen helfen muß, seh ich das ja alles ein, aber zum Papiere-Holen, wenn die eigentliche Arbeit — Trailertauschen und -zumachen halt — längst erledigt ist, ist das nicht mal mehr lächerlich. (Sondern, nebenbei bemerkt, erklärbar mit der Tatsache, daß einem die Wache gern ne Schutzbrille verkauft, zum ca. dreifachen Baumarktpreis versteht sich.)

Zweitens: Wenn jeden Tag 20 Fahrer mit Dir über diese Schikane zu diskutieren versuchen, dann muß das nicht daran liegen, daß denen ihre persönliche Sicherheit scheißegal ist, weil ja sowieso alle Fahrer hirnlose Idioten sind, selbstverständlich, nur Euch Bürohengsten scheint ja die Sonne aus dem Arsch. Nein, es könnte auch daran liegen, daß es eben Schikane ist und keine sinnvolle Sicherheitsvorschrift.

Drittens, nebenbei, vielen Dank für diese Bestätigung, daß Ihr kleinen Götter vom Versandbüro mitunter mal Fahrer aus reiner Willkür und Boshaftigkeit ein paar Extrastunden warten laßt. Vermutet hatte ich das ja schon länger, gerade auch nach einigen Stories, die man so auf Eurem Parkplatz von den Kollegen hört, aber es tut immer gut, sowas bestätigt zu wissen.

Und viertens, Arschgesicht, redest Du mit mir bitte nicht in diesem Ton.

Hab ich natürlich nicht gesagt. Und auch sonst nix mehr, denn es war nun mal Freitagnachmittag, und jede Verzögerung geht von meinem Wochenende ab und nicht von der Tourplanung meiner Dispo.

Überlegt habe ich allerdings, da das nächste Mal nicht nur mit Warnweste, Helm und Schutzbrille aufzulaufen, sondern auch mit Knie- und Ellenbogenschonern, ölfesten Sicherheitshandschuhen, Gehörschutz und Atemmaske. Aber erstens besitze ich den ganzen Krempel nicht, und zweitens ist jeder Versuch, solchen verbohrten Nichtdenkern mit Humor beikommen zu wollen, zum Scheitern verurteilt.

Und so bleibt mir nur, genau zu wissen, von welchem Hersteller ich ganz bestimmt keine Fußbodenverlegeplatten kaufen werde, sollte ich jemals welche benötigen. Und diesen Artikel zu schreiben natürlich. Hoffe, er hat nicht allzusehr genervt.

1 Kommentar

  1. Alternativ könnte man auch mal beim nächsten Mal so ein Gespräch mitschneiden, Handy in der Tasche reicht ja dafür aus. Denen könnte ihr “mal eben 3h warten lassen” dann noch leid tun.

    Tobi

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