… und zweitens als man denkt

Wenn man an einem Freitag um Mitternacht am Anfang einer Normal-13-maximal-15-Stunden-Schicht mit einem beladenen Auflieger zu der ältesten Filiale eines großen norddeutschen Automobilkonzerns fährt, dann denkt man, oder dann denkt zumindest der Chronist: Naja, das wird schon ein paar Stündchen dauern, aber besonders viel können sie (gemeint ist: die Dispo) danach mit mir ja wohl nicht mehr anstellen bis zum Feierabend. 13 Stunden sind zwar ne lange Zeit, aber wir kennen ja unseren Automobilkonzern, näch.

Ja. Von wegen.

Es folgt die Chronik eines nicht mehr ganz normalen Tages:

  • 00:00 Uhr: Auflieger anklinken.
  • 00:15 Uhr: Moin Steuerstelle! Da hast du die Papiere.
  • 00:45 Uhr: Papiere zurückbekommen. Sechs Abladestellen an vier Adressen. Anzufahren aus diversen Gründen nicht in der Reihenfolge der Adressen. Normal.
  • 00:57 Uhr: Erste Abladestelle erreicht …
  • 01:27 Uhr: … und fertig. Wenn das in dem Tempo weitergeht, können die mich doch noch in die Wildnis schicken. Am Freitag, das wär doof.
  • 02:10 Uhr: Zweite Abladestelle erreicht …
  • 02:56 Uhr: … und fertig. Das ist schon eher das gewohnte Tempo. Und jetzt kommt ja auch erstmal …
  • 03:13 Uhr: … die für ihre Geschwindigkeit nicht gerade bekannte dritte solche. “Lohnt es sich, mich pennen zu legen?”, frag ich da frecherweise — und bekomme ein “Ja!”.
  • 07:00 Uhr: Hat sich gelohnt.
  • 08:17 Uhr: Mittlerweile bei Abladestelle Nummer vier auf dem Parkplatz angekommen. Das ist fast dieselbe wie Nummer eins, also vielleicht 100 Meter Luftlinie dazwischen, aber was tut man nicht alles. Die paar Kilometer Umweg.
  • 09:31 Uhr: Und schon steh ich bei Abladestelle Nummer fünf. Von sechs. Hey, das hat ja bis jetzt echt prima geklappt — Nummern fünf und sechs sind auch dieselbe Adresse, das kann ja nicht so lange dauern hier.
  • 10:02 Uhr: Nachdem ich mir ne halbe Stunde die leere Halle angekuckt habe vom offenen Tor her, darf ich auch schon reinfahren und aufmachen. Na also.
  • 11:23 Uhr: Seit ungefähr ner Viertelstunde kucke ich jeden an meinem Laster vorbeischlendernden Mitarbeiter auffordernd an. Jetzt reagiert mal einer und sagt: “Dauert noch ein bißchen. Ich meine: ein bißchen länger.” Ich so: “Warum?” Er: “Weil wir keine Zeit haben.” Sprichts und geht erstmal mit den Kollegen vor die Tür, eine rauchen.
  • 12:13 Uhr: Ewig konnten sie mich ja nicht ignorieren und haben den einen Behälter, den sie von mir zu kriegen hatten, nach zwei Stunden Wartezeit in der Halle doch schon abgeladen. Zwei Behälter noch. Schnell nach nebenan …
  • 12:25 Uhr: “Nicht vor 14 Uhr.” Auf meinen leicht schockierten Blick elaboriert der gute Mann, sich in seinen Schreibtischstuhl fläzend: Ja, er sei heute alleine hier, und außerdem sei jetzt Pause, und es seien noch drei Laster vor mir dran, und im Übrigen brauche er die Ware, die ich da hätte, auch nicht dringend. “Und ich kann den Laden hier auch nicht alleine retten.” Nee, kannst du nicht, aber mal probieren, ob du ihn alleine ruinieren kannst? Frage ich natürlich nicht, wozu auch, kann er natürlich nicht. Aber er ist ja auch nicht alleine beim Versuchen.
  • 12:30 Uhr: Telefonat mit der Dispo. “Sag dem das nochmal, daß wenn du nicht jetzt entladen wirst, wir die Tour abbrechen und die Behälter Anfang nächster Woche mit dem Sammelgut reinschicken.” Mach ich. Selbes Resultat. Okay, mir recht — das Wochenende ruft.
  • 12:42 Uhr: Zurück in der Steuerstelle und denen den Tourabbruch kundgetan. Es erhebt sich ein hektisches Telefonieren, woraufhin man mich fragt: “Wenn die dich da dann sofort abladen, kannste dann jetzt nochmal da hinfahren?” Leute, irgendwann ist es auch mal gut, denk ich mir und flunkere: “Nee, das wird zu knapp mit meiner Schichtzeit. Ihr hattet zwei Chancen, und euer Warenannehmer da meinte, Ihr braucht den Kram nicht so dringend.” Es wird weitertelefoniert …
  • 12:57 Uhr: Endlich Papiere bekommen. In der Zeit hätte man das auch fast abladen können, aber egal. Schnell noch zur Spedition, Auflieger abstellen und Wochenende!
  • 13:15 Uhr: “Dann fahr mal an Tor 11.” — “Äh … ich hab keine Schichtzeit mehr, ich sollte den Auflieger abstellen.” — “Komm, zwei Behälter.” — “… sind mit Auf und Zu und Tralala auch ne halbe Stunde.” — “Tor 11!” — “Ist ja gut …”
  • 13:38 Uhr: Okay. Nicht ganz ne halbe Stunde. Aber fast.
  • 13:50 Uhr: Meine Zugmaschine ist frei vom Auflieger. Endlich. Jetzt noch tanken und nachhause fahren. Aber es stimmte schon, was ich heute nacht dachte: besonders viel konnten sie wirklich nicht mehr mit mir machen.

Mich wundert ja immer wieder, daß da überhaupt fertige Autos bei rauskommen.

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