Machen alle so

Der vorletzte der typischen Disponentensätze, die der Kollege Blick Ableiter drüben auf seinem Blog zusammengetragen hat, nämlich der Klassiker „Deine Kollegen machen das auch immer so. Da beschwert sich auch keiner. Nur du.“, weckt die Erinnerung an eine schon etwas ältere Episode meines Berufskraftfahrer-Daseins, wo ich diesen Satz so ähnlich auch zu hören bekam, aber vom Kunden.  Sie möge nebenbei auch ein bißchen zur Ehrenrettung des Disponententums beitragen, denn ganz ehrlich: deren Job würd ich auch nicht machen wollen.

Jener Kunde war ein Bauunternehmen, das mit der Herstellung eines Eisenbahntunnels an der Neubaustrecke Nürnberg-Berlin befaßt war — wo genau, weiß ich nicht mehr.  Nun sind Eisenbahntunnel-Baustellen meist noch etwas weiter ab vom Schuß als andere Baustellen, und so wunderte es mich nicht, daß nach 10 Minuten Gegurke über geschotterte Waldwege zur Containersiedlung der Bauleitung noch eine weitere knappe halbe Stunde desselben anstand, inklusive einer zerschrammten Stoßstangenecke wegen unglücklich an der Kurvenaußenseite gelagerter und schön vermittels üppigen Bewuchses getarnter Moniereisen, bis zu einem Loch im Wald, das sich als Einfahrt eines Rettungstunnels entpuppte.  Da kann man dann wohl später mit dem Sprinter-RTW direkt bis an den havarierten ICE im Tunnel heranfahren. Praktische Sache.

„Ja,“ sagt der Baustellenleiter, „du fährst jetzt rückwärts da rein, ca. 200 Meter, dann kommt rechts die Durchfahrt zum Haupttunnel, da dann links, und dann nach 400 Metern siehste es schon.“

Ähm.

Oh.

Ahem.  Nö, sag ich, mach ich nicht.

„Wie, machst du nicht?  Das machen alle so.  Wir kriegen hier jeden Tag ein bis zwei Züge (er meinte: Lastzüge) voll Rohre, die fahren alle da rein.“

Naja, sag ich, zumindest will ich mir das vorher mal ansehen gehen.  Gehen?  Das sei viel zu gefährlich, aber bitte, man könne ja eine „Begehungsfahrt“ machen.  Also rein in das Atego-Kipperchen und rein in den Tunnel.

Der ist ziemlich finster, in der Mitte sicherlich gut 5 Meter hoch, aber im Querschnitt eben halbrund, wie Tunnel halt so sind, bevor die Decke verkleidet wird.  Und die Durchfahrt zum Haupttunnel ist halt ein Loch in der Wand, vielleicht so vier mal vier Meter groß.  Dahinter wird’s geräumiger, zugegeben.

Wieder an der Erdoberfläche bleibe ich bei meiner Verweigerung, da rückwärts reinzufahren.  Also in den Rettungstunnel vielleicht, mit Einweiser, aber die rechtwinklige Verschwenkung in den Durchbruch zum Haupttunnel, das wäre schon in einer gutbeleuchteten Werkhalle mit Betonboden eine mittlere Herausforderung, aber auf Matsch (so ein Tunnel ist erstaunlich feucht), im Dunkeln, bei krummen Wänden?  No way.  Aber im Rettungstunnel sei doch gar kein Platz zum Abladen, sagt er.  Tja, sag ich, das sei dann halt so.

Es folgt eine ansehnliche Detonation.  Nein, nicht im Tunnel, im Baustellenleiter.  Und er wolle jetzt sofort die Nummer meines Disponenten, er werde sich nämlich beschweren, jawohl!  Ich greife zum Händi, drücke Wahlwiederholung, spreche drei kurze Sätze hinein und reiche es an ihn weiter.  Er schreit ein paar mehr etwas längere Sätze hinein, reicht es zurück und stampft energisch von hinnen.

„Na dann erzähl mal“, sagt mein Disponent.  Ich beschreibe die Situation, biete ihm an Fotos zu machen, „nönö,“ wehrt er ab, „du bist hier der vor Ort mit dem LKW-Führerschein und der Verantwortung, nicht ich.  Wenn du meinst, das geht nich, dann geht das auch nich.“  Alles klar, sag ich, und wie geht’s jetzt weiter?  „Jetzt rufe ich da an und schrei mal zurück.  Bis gleich.“

Gleich nach dem Rückruf kommt dann auch schon der Radlader mit Stapelgabel und einem tiefenentspannt-kumpeligen Fahrer, der mich ein paar hundert Meter weiter in den Wald auf eine Lichtung leitet, auf der, oh Wunder, einige Lastzugladungen genau der Rohre liegen, die ich auch dabeihabe.  Nach dem Abladen in gelassener, kollegialer Atmosphäre stehen wir dann noch zusammen, er auf ein Zigarettchen, ich auf ein Pepsi-Lightlein, und ich frage ihn, wie das denn nun wär mit den Lastzügen, die da „alle“ reinfahren würden.

„Jaaa,“ sagt er gemütlich, „ein paar haben das schon gemacht.  Ab und zu schafft es auch mal einer, ohne wo gegenzufahren oder sich einzugraben.“  Und, frag ich, wieso sagt ihr denen das trotzdem immer noch, daß sie da reinfahren sollen?  „Weil der Chef meint, daß es immer noch schneller geht, die da rauszuziehen und einen Unfallbericht zu schreiben, als die Rohre mitm Kipper da reinzuschaffen.“  Oh, sag ich, dann hab ich dir mehr Arbeit gemacht jetzt?  Das wollte ich nicht.  „Achwas,“ meint er, „mit so ner Fuhre würd ich da auch nicht reinwollen, ich bin doch nicht bekloppt.“

Da waren wir also schon mal zu zweit.  Zu dritt, wenn man meinen Disponenten mitzählt.  Reicht.

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