Autonome Gefahren

Nein, hier geht es nicht um politisch Autonome, keine Bange. Aber eigentlich ist es doch komisch, daß die Autoindustrie sich für ihre selbstfahrenden Kaleschen einen derartig negativ besetzten Begriff ausgesucht hat — wer will schon ein tatsächlich autonomes Auto? Das müßte ja nicht mal mit Molotowcocktails werfen, um zu nerven. Aber ich schweife ab, und überhaupt ist es vermutlich wieder nur so eine faule Übersetzung von engl. „autonomous“, man kennt das ja.

Jedenfalls ist das, glaubt man den Protagonisten sowohl aus der klassischen Autoindustrie wie auch aus dem Silicon Valley, die Zukunft. Die Zukunft! Sie versprachen uns fliegende Autos, und tatsächlich müssen wir uns damit begnügen, daß wir wenigstens unbelästigt in die Schlaufönlis kucken dürfen, während wir im Stau stehen.

Fahrassistenzsysteme werden in fünf Klassen unterschieden. Am Anfang stehen so Dinger wie Abstandsregeltempomat oder Spurassistent, die sich nur um eine Teilaufgabe der Fahrerei kümmern, den menschlichen Fahrer also nur entlasten und nicht ablösen. Stufe zwei ist das, was Tesla schon vollmundig „Autopilot“ nennt: das Auto kann selber beschleunigen, bremsen und lenken, aber der Fahrer muß immer noch aufpassen wie ein Luchs, zumindest theoretisch.

Im mittleren Bereich der Klassifikation kommen dann Systeme wie Stauassistent oder automagisches Einparken, die zeitweise die komplette Kontrolle übernehmen, aber immer noch nicht erlauben, daß der Fahrer sich derweil anderen Dingen widme. Da ungefähr sind wir jetzt, wenn freilich auch die Hersteller suggerieren, wir seien schon weiter, und zumindest Autobahnfahren auch schon technisch weitgehend gelöst ist — bloß halt noch zu teuer, will man Systeme haben, die zuverlässig kreuzende Lastwagen von über der Straße hängenden Verkehrsschildern unterscheiden können.

Der nächste Schritt von Stufe drei nach vier klingt unspektakulär, ist allerdings der größte: Systeme, die die komplette Arbeit von Start bis Ziel zumindest im Regelfall übernehmen können, und zwar so gut, daß sie es ein paar Sekunden vor dem eigenen Versagen merken, daß sie versagen werden, und so den menschlichen Fahrer mit angemessener Reaktionszeit alarmieren können, wenn sie überfordert sind. Das erweist sich als unerwartet schwierig. Oder vielleicht auch nicht unerwartet — man versuche mal beim Autofahren, konsistent fünf Sekunden in die Zukunft zu schauen. Wird das SUV da vorne ausscheren? Läuft die Frau am Straßenrand los oder nicht? Macht der Radfahrer einen Schlenker? Hält der zurücksetzende Müllwagen an und läßt mich durch? Schwierig bis unmöglich, sowas. Und das mit dem Wissen um die Welt, das man als Mensch so einfach hat und das ein Computer erst mühsam lernen muß. Da hilft es ihm auch kaum, daß er besser kucken kann. Wenn nicht gerade Schnee vorm Sensor klebt, wendet der diesbezüglich leidgeprüfte Berufskraftfahrer mit Abstandsassistent im Actros ein.

Aber gut, gehen wir mal davon aus, daß diese Stufe erreichbar ist. Dann ist doch aber alles gut? Kaum. Denn dann haben wir dasselbe grundsätzliche Problem wie im Flugverkehr, wo der Autopilot im Gegensatz zu Tesla seinem zu recht so heißt, weil er im Prinzip alles von Start bis Landung auch alleine kann: denn was die Maschine kann, verlernt der Mensch. Natürlich nicht völlig, aber in der Praxis fehlt es ihm schlicht an Routine — am Steuer ist und bleibt er ein Anfänger, denn wo soll denn die Übung herkommen, wenn die Maschine ihm die Routinetätigkeiten abnimmt? Das ist bequem, sicher, aber es ist auch nicht ungefährlich. Im Flugverkehr begegnet man dem mit regelmäßigen Schulungen und Prüfungen, und zwar trotzdem mit durchaus diskussionswürdigem Erfolg — aber im Straßenverkehr? Seh ich nicht.

Und wenn das Ding dann Alarm schägt, „hallo, Mensch, wachwerden, hier wird es gefährlich!“, dann wird also ein Mensch, der eben noch mit der oder dem Liebsten plauschte, einen spannenden Film sah oder mit geschlossenen Augen zu feiner Musik leise vor sich hindöste, ins kalte Wasser geschmissen: er weiß nicht, wo er ist, oder wie schnell er ist, oder was gerade um ihn herum passiert, geschweige denn was es ist, wovon sein Auto meint, daß es allein nicht damit klarkommen wird. Er hat, um es rauszukriegen, sich einen Plan zu machen und diesen umzusetzen, bestenfalls ein paar Sekunden Zeit — selbst derer zehn, m.E. völlig utopisch viel, wären da eher knapp für. Und er hat auch keine Übung darin, all dies zu erkennen und zu tun, weil es idealerweise recht selten passiert und er sonst nur seinem Navi sagt, wo er hinmöchte. Im schlimmsten Fall hat er noch nie bei 140 schnell am Lenkrad gedreht oder bei 80 voll in die Bremse getreten und wird schon von der Reaktion des Wagens überrascht. Hey — was soll da schon schiefgehen?

Und wenn es dann vorhersagbar schiefgeht, ist der Mensch schuld, denn das Auto hat ihm ja „rechtzeitig“ die Kontrolle übergeben.

Prognosen sind schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen, und erst recht, wenn Computer am zu prognostizierenden Ding einen Anteil haben. Die Güte von Alexas Spracherkennung oder Teslas Autopilot hätte noch 2013 kein Mensch für in fünf Jahren zu prognostizieren gewagt. Vielleicht gilt das auch für Fahrassistenzsysteme; vielleicht liege ich falsch, und in fünf Jahren sind 20 Sekunden Vorwarnzeit möglich, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das gehen soll. Am grundsätzlichen Problem — mangelnde Routine und dadurch anfängerhafte Reaktion auf Situationen, die der Maschine zu gefährlich scheinen, um selber damit klarzukommen — ändert das nichts. Im Gegenteil: je besser das Auto selber fahren kann, umso seltener und umso gefährlicher werden die Situationen, in denen es seinen Fahrer weckt, auf daß der die Kohlen aus dem Feuer hole. Und je seltener und gefährlicher diese Situationen, umso unwahrscheinlicher ist es, daß der Fahrer das dann auch kann.

Und trotzdem kündigt GM bereits an, 2019 — nächstes Jahr! — Autos der Stufe fünf in Verkehr bringen zu wollen, die gar kein Lenkrad mehr haben, also komplett autonom fahren sollen. In allen Situationen. Immer. Ja nee, is klar. Was die dann wohl machen werden, wenn sie nicht mehr weiterwissen? Vermutlich Warnblinker an, möglichst viel Tempo abbauen und, sollte dies unfallfrei gelingen, rechts ranfahren, anhalten und um Hilfe rufen.

Eine Idee für einen möglichen Ausweg gibt es freilich auch schon: menschliche Fahrer, die nicht im Auto sitzen, sondern angestellt in einer Notfallzentrale, und dann die nötigen Kamera- und sonstigen Daten auf den Bildschirm bekommen und die Karre ferngesteuert aus der Bredouille fahren. Da das hoffentlich hochgradig geschulte und mit der Zeit auch routinierte Fachleute sein werden und nicht Leiharbeiter mit Führerschein –, ähm, nee: falls das hochgradig etc. –, könnte das schon besser funktionieren als das Modell mit dem Fahrer-Wecken. Dafür wird’s aber auch wieder teurer, denn die Notfallzentrale und die Leiharbeiter mit Führerschein wollen ja auch erstmal bezahlt werden, und eine 100% stabile und schnelle Datenverbindung zum fahrenden Auto braucht es auch. Am Rande: „100%“ bedeutet hier nicht 99,99%, und „schnell“ nicht bis zu 50 MBit/sec.

Und auch dann besteht immer noch die Gefahr, daß das ins Schleudern kommende Auto keinen anderen Ausweg weiß, als mit einem „Ping“ folgende Fehlermeldung einzublenden:

WICHTIGER HINWEIS - Leider sind alle Notfallmitarbeiter derzeit belegt. Bitte warten Sie oder bringen Sie das Fahrzeug selbst wieder unter Kontrolle. - Die Abschaltung der automatischen Steuerung erfolgt in 4 Sekunden. - [ OK ]

Und über das andere Problem mit der goldenen Zukunft, in der man sich statt eines teuren Taxis ein vollständig autonomes Auto ruft, um davon an ein jedes Ziel gefahren zu werden, und deswegen auch gar kein eigenes mehr braucht, was jede Menge Umweltschäden, Flächenverbrauch und was nicht noch alles sparen soll, reden wir dann demnächst mal. Sollte eigentlich jetzt und hier kommen, aber dieser Artikel ist eh schon wieder zu lang. Und nein, es ist nicht ganz so gefährlich, aber dafür auf andere Art unangenehm.

Nachtrag, zwei Tage später: Anscheinend liege ich mit meinen Sorgen nicht völlig falsch — Heise hat auch einen Artikel zum Thema.

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