Die Angst vor der blauen Plakette

Ehrlich, ich versteh’s nicht.  Immer wieder winseln Politiker und Industrievertreter beschwörend, neinnein, man wolle aber auf gar keinen Fall eine blaue Schadstoffplakette und so die Fahrer von Dieseln mit heute grüner solcher „kalt enteignen“, dieses Problem der Stickoxid- und Feinstaubschleudern (also nur der Diesel jetzt, bei den Benzindirekteinspritzern interessiert es immer noch keine Sau, was die rausmölmen) dürfe sowas von keinesfalls „auf dem Rücken der Autofahrer ausgetragen“ werden.

Auf wessen denn sonst?

Was ich mich frage: Woher der Sinneswandel?  Die Regierung ist quasi ununterscheidbar dieselbe wie zur Einführung des Plakettenwahns 2007, das kann’s nicht sein.  Die Industrie ist auch dieselbe.  Und damals war die „kalte Enteignung“ kein Problem.  Kucken wir doch mal auf die Zahlen — nein, keine Bange, jetzt kommen keine Gramm pro Kilometer oder so, nur ein paar Jahreszahlen.

Die Feinstaubplakettenstufen Rot, Gelb und Grün gelten je nach Ballungsraum seit verschieden langer Zeit, aber grob über die Tabelle der Einführungsdaten in der Wikipedia augapfelnd sagen wir mal verallgemeinernd und zirka, genauer brauchen wir es nicht: Rot seit 2008, Gelb seit 2009, Grün seit 2011.  Die ab dann dort nicht mehr willkommenen Diesel waren zuletzt zugelassen worden: für Rot 2001, für Gelb 2006, für Grün gibt’s kein solches Datum.  (Das muß man sich aus dieser und jener Tabelle zusammensuchen.)  Und so kommen wir auf das Fazit: Bei Einführung der Umweltzonen waren die jüngsten Wagen, die das Verbot betraf, bei Rot noch sieben, bei Gelb nurmehr drei Jahre alt, mit einer Vorwarnzeit von bei Rot einem und bei Gelb zwei Jahren zwischen Beschluß und Inkrafttreten.

So.  Und was bedeutet das nun für die blaue Plakette?

Wenn wir heute den Autofahrern keine schlimmere Härte zumuten wollen als damals, dann können wir uns ja mal in etwa an den Vorwarnzeiten und Altersklassen der vorhandenen Plaketten orientieren, gell?  Mit einem Jahr Vorwarnzeit können wir also, wenns nicht unfairer sein soll als damals bei den plakettenlosen Dieseln bei Einführung der roten Umweltzonen, dann sieben Jahre alte Diesel aussperren — Autos bis Baujahr 2011 also, das wäre Schadstoffklasse Euro 4.  Also kriegen die Diesel ab Euro 5 blaue Plaketten, und die grünplakettierten dürfen ab 2019 nicht mehr in entsprechend beschilderte Umweltzonen.

Meinetwegen können wir ab da auch gleich die entsprechenden Benziner mit wegreglementieren.  Da schneide ich mir als Youngtimerfahrer ins eigene Fleisch, aber für meinen 1991er Euro-1-Benziner dann ernsthaft ne blaue Plakette zu wollen, nur weil er einen G-Kat hat, käme mir schon auch ein bißchen schuftig vor.

Und mit zwei Jahren Vorwarnzeit können wir sogar drei Jahre junge Autos aussperren — wenn wir der Einfachheit halber mal den Euro-6-Autos violette Plaketten geben, um’s nicht zu kompliziert zu machen, wären die Euro-5-Kisten bis Baujahr ’15 ab 2020 raus, für deren Halter sogar weniger schlimm als für die der rotplakettierten Autos anno 2009.

Das müßte man nur mal demnächst beschließen, wegen der Vorwarnzeit.  Und schwupp, wird das Problem überschau- und vor allem planbar.

Die nächste Stufe, sagen wir mal die noch bis September dieses Jahres zulaßbaren Euro-6b-Diesel, bekommt dann pinkfarbene Plaketten mit einer 7 drauf und darf ab 2023, wenn sie fünf werden, nicht mehr in entsprechend gekennzeichnete Zonen.  Euro 6d-TEMP, zulässig bis 2021, bekommt mintfarbene Plaketten und ist ab 2026 raus.  Und auch den Euro-6d-Neuwagen kleben wir schon mal Plaketten in dezentem Hellblö, damit man sie zu gegebener Zeit als Stinker brandmarken und aussperren kann.  Und so weiter.

Das einzige Problem wäre, daß uns irgendwann die Plakettenfarben ausgehen.  Aber bis dahin gibt es ja dann vielleicht doch mal genug Elektroautos, daß man dann gleich alle Verbrenner in Bausch und Bogen aus den Ballungsräumen werfen kann.

Ansonsten wäre das logisch, begründbar, planbar.  Wenn man es rechtzeitig beschließt und verkündet.  Da hat die Bundesregierung, wie so oft, den Finger nicht rechtzeitig aus dem Hintern bekommen, aber das ist wie gezeigt nix, was man nicht reparieren könnte.  Und wohlgemerkt: Städte, die ihre Schadstoffsituation nicht für allzu prekär halten, können ja ihre Umweltzonen problemlos auch für grüne, blaue etc. Plaketten zugänglich halten, wenn sie möchten.  Nicht mal Umweltzonen einführen müssen sie ja.

Und im Gegensatz zu den derzeit diskutierten punktuellen Fahrverboten ist eine Plakettenlösung auch überwachbar.  Wie darf ich mir das denn vorstellen eigentlich — heute und morgen dürfen in der Dingensstraße nur Diesel ab Euro 6c fahren?  Und dann stellt sich die Polizei hin und kontrolliert jedes einzelne Auto, ob auch die entsprechende Schadstoffklasse im Schein steht und der Wagen ggf. schon bei einer Rückrufaktion wegen Schummelsoftware war?  Das könnt Ihr doch Eurer Großmutter erzählen.  Bei der Plakettenvergabe kann man sowas prüfen, kein Ding, aber wenn man das im Rahmen einer Verkehrskontrolle flächendeckend machen wollte, würde allein der entstehende Stau mehr Schadstoffe verursachen, als die dabei entdeckten „Stinker“ rausgehauen hätten, wenn man es gelassen hätte.

Also, wer erklärt mir mal bitte, warum es denn nun so schlimm wäre, blaue Plaketten für alle Diesel ab Euro 5 zu vergeben und ab nächstes Jahr nur noch die in die am schlimmsten versmogten Umweltzonen zu lassen?  Ich versteh’s nämlich, wie gesagt, nicht.

1 Kommentar

    • Dieter Schlabonski auf 3. Dezember 2019 bei 19:04
    • Antworten

    Und hier zeigt sich, daß ich mit der Vermutung, ohne neue Plaketten seien Fahrverbote kaum sinnvoll kontrollierbar, durchaus recht hatte:
    https://www.heise.de/autos/artikel/Berlin-Fahrverbot-nicht-kontrollierbar-4602396.html

    Nicht daß das jetzt eine Riesenüberraschung wäre.

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