Ein neuer Lastwagen, ein neuer Artikel über Assistenzsysteme. Denn auch wenn Mercedes so ziemlich kein Teil unberührt gelassen hat beim auch schon wieder sieben Jahre alt gewordenen „neuen“ Actros, den sie alle MP4 nennen, obwohl er gar nicht die vierte Modell-Phase des alten Actros ist, sondern wie in diesem Satz schon mal gesagt ein völlig neues Auto, ist doch die „driver experience“, also das Fahrerlebnis, bemerkenswert ähnlich. Das vorherrschende Gefühl ist: Gelassenheit.
Was für ein Arbeitsgerät im Wahnsinn des deutschen Straßenverkehrs ja nicht das Schlechteste ist.
Leiser ist er geworden, und er hat ein paar neue Arbeitserleichterungen bekommen. Eine davon, „EcoRoll“ (was das Brötchen im Titel erklären helfen sollte), hatte auch „mein“ alter Actros MP3 schon, allerdings in einer eher vorsintflutlichen Variante: Wenn das Auto merkt, daß es von selber schneller wird (also bergab), und wenn es dabei auch schon mindestens so schnell ist wie vom Tempomat verlangt oder meint, das auch allein durch die Hangabtriebskraft zeitnah erreichen zu können, dann nimmt es den Gang raus und rollt im Leerlauf zu Tal. Und wenn es ohne Tempomat und ohne Gas rollen darf, zum Beispiel in ein Tempolimit rein oder auf eine rote Ampel zu, ebenso.
Anscheinend spart das beim Lastwagen Sprit, obwohl ich für den PKW gelernt habe, daß Schubabschaltung (also mit eingelegtem Gang und ergo Nullverbrauch rollen lassen) effektiver sei. Na, Mercedes wird sich was dabei gedacht haben.
Der neue Actros hat aber nun neben einem Wust weiterer TLAs …
… auch PPC, was nicht wie seinerzeit zu meiner Zeit für PowerPC steht, sondern für „predictive powertrain control“. Das Prädiktive muß man sich da aber weniger als künstlich intelligenten Blick in die Zukunft vorstellen, sondern eher als einen Abgleich mit dem GPS und einer hinterlegten Straßenkarte mit Höhenangaben.
Der Effekt ist zunächst etwas verwirrend: in hügeligem Gelände nimmt das Auto nicht mehr wie früher den Gang raus, wenn es die Kuppe überwunden hat und wieder schneller wird, sondern schon vor dem Brechpunkt. Dadurch verliert es natürlich an Tempo (wieviel maximal, kann man einstellen, aber weniger als 3 km/h kann man da nicht einstellen, allenfalls die Funktion komplett deaktivieren), überquert die höchste Stelle also im Leerlauf rollend und legt dann bergab wieder an Tempo zu, bis die ebenfalls einstellbare Höchstüberschreitung der Tempomat-Sollgeschwindigkeit erreicht ist, woraufhin es einen Gang einlegt und die Fuhre mittels Retarder einbremst.
Die ersten paar Male dachte ich beim Einlegen des Leerlaufs, da wär was kaputt.
Aber man gewöhnt sich schnell dran. Und wenn jemand an die Hintermänner und -frauen denkt: wer so dicht auffährt, daß die paar km/h Handlungsbedarf bedeuten, der hat es nicht besser verdient. 😛
Wirklich erstaunlich wird PPC aber erst im vermeintlichen Flachland, wo es oft kilometerweit im Leerlauf rollt an Stellen, die man mit einem PKW oder einem „normalen“ Lastwagen als völlig topfeben empfindet. Und das bringt anscheinend auch tatsächlich was: nicht nur ist der Actros in sämtlichen Vergleichstests, die ich gelesen habe, der Sparsamste gewesen — auch mein Verbrauch, obwohl natürlich nach nun knapp 3000 km im neuen Auto und wegen wechselnder Ladung ohnehin nur gefühlt, hat nach meinen Schätzungen um mindestens einen, eher mehrere l/100 km abgenommen gegenüber dem alten Actros.
Ansonsten noch bemerkenswerte Neuerungen: Kriechmodus im Automatikgetriebe (das ja eigentlich nur ein vollautomatisiertes Schaltgetriebe mit Kupplung ist, sich mit Kriechmodus aber noch ein bißchen mehr nach Wandlerautomatik anfühlt und auch das Rangieren sehr viel komfortabler macht) und vor allem der Stauassistent. Das ist ein aufgebohrter Abstandsregeltempomat, der nicht wie im alten Actros bei Unterschreitung von IIRC 20 km/h abschaltet, sondern tatsächlich bis 0 km/h funktioniert, also hinter dem Vordermann auch anhält — und durch leichtes Antippen des Gaspedals auch wieder losfährt. Das tut er zwar ruppiger und weniger vorausschauend, als ich es täte, aber sei’s drum — oft helfe ich ihm ein bißchen mit dem Hebel des Retarders, der verschleißfreien Bremse, mit dem man ihn prma von absehbar sinnlosen Beschleunigungsvorgängen abhalten kann.
Und im Gegensatz zum alten Actros, bei dessen Abschied ich doch schon fast ein Tränchen verdrücken mußte, weil mir der klassische alte Kasten mit seinem 70er-Jahre-Taxistand-Nageln doch ein bißchen ans Herz gewachsen war, freu ich mich aber auch schon auf den nächsten neuen Actros. Allein schon wegen der Kameraspiegel, die ja nicht nur nachts und beim Rangieren sehr viel bessere Bilder liefern und außerdem wertvollen Sichtwinkel nach schrägvorn freiräumen, weil die Displays innen an der A-Säule sitzen, sondern von denen ich mir auch weniger Verwirbelung und damit sauberere Seitenscheiben bei Schmuddelwetter verspreche. Denn das — die schnell verdreckenden Seitenscheiben — ist der einzige Nachteil am neuen Actros, den ich bis jetzt gefunden habe. Naja, und Kleinkram: die hellbraunen Innenverkleidungen (ohne 70er-Jahre-Zitat geht’s bei Mercedes anscheinend nicht) und die Hupe in Lenkradmitte, die man mit Laptop auf dem Lenkrad und Zündung an schon mal versehentlich auslöst beim Tippen. *BRAAAAP*! Tschulljung, tschulljung, war nich so gemeint 🙂
Und weil nur Lob ja auch öde ist, folgt zum Schluß noch ein kleiner Rant auf diesen Mist Aus Nürnberg, diese ruppige, nervige, unkomfortable, ja stellenweise gefährliche Schrottkiste von verficktem MAN TGX, die ich zwischen den Actrosen (inoffizieller Plural, gesprochen wie „Athrosen“, falls das der Plural von Athrose ist) bewegen durf mußte. Der hatte zwar weder Ökobrötchen noch PowerPC, logisch, gibts für die Dreckskiste AFAIK auch noch gar nicht, nur einen altmodischen Abstandsregler — aber was der mir an hektischen Zwischenbremsungen und Fehlalarmen um die Ohren gehauen hat! Ich dachte, der Verkehr sei während meiner Auszeit viel ruppiger geworden. Ist er gar nicht, das war nur dieser MAN-Schrott, der auf jeden kleinen Furz gleich maximal hektisch reagiert hat.
Naja. Endlich wieder ein vernünftiger Lastwagen. Es lebe die Gelassenheit!
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Da ich mittlerweile wieder MAN fahre, leider ohne Abstandsregler, aber zwischenzeitlich auch mal einen neueren MAN (2019 oder so) mit Abstandsregler als Mietwagen hatte, muß ich den letzten Absatz nun relativieren: der funktionierte genausi sanft, elegant und unauffällig, wie ich es von Mercedes gewohnt war. Entweder haben die was verbessert, oder bei dem älteren damals war was kaputt. Die Ökofunktion hatte der neue allerdings nicht.