Vor einiger Zeit habe ich dem Überläufer ein Interview gegeben, das dort auch in vier Teilen veröffentlicht wurde. Es auch hier zu veröffentlichen, erscheint mir nur fair 😉
Überläufer: Willkommen auf dem Nussbaumparket der Dekadenz. Willkommen beim Überläufer. Heute habe ich @schlabonski zu Gast. Er hat als Fernfahrer gearbeitet. Warum hast du dich entschieden Fernfahrer zu werden?
Dieter: Das war mehr oder weniger Zufall. Ich hatte nach längerer Arbeitslosigkeit von der Arbeitsagentur eine Fortbildung mit Kran-, Stapler-, Baumaschinen-, Kettensägen- und eben auch LKW-Führerschein angeboten bekommen und dachte: cool, nimmste mal mit. Teil der Maßnahme war ein Praktikum, das ich bei einer Spedition machte. Und die haben mich direkt eingestellt.
Überläufer: Wie kann ich mir den beruflichen Alltag eines Fernfahrers vorstellen?
Dieter: Das ist tatsächlich Leben nur im LKW: 11 Stunden (mindestens) Nachtruhe, die restliche Zeit von Ladestelle zu Ladestelle eilen und dort beim Be- und Entladen zumindest verantwortlich mitarbeiten. Freizeit findet auf dem Autohof oder Ähnliches statt; vom LKW weg kommste nur am Wochenende.
Überläufer: Auf den Autobahnen fallen mir immer wieder LKWs auf, die statt 60 oder 80 eher konsequent 90 fahren. Inwiefern kommt der Druck schneller zu fahren von den Spediteuren?
Dieter: Das kann man vermutlich nicht verallgemeinern, aber zumindest meine Arbeitgeber haben mit einer Ausnahme die Touren nie so geplant, daß es auf die letzten km/h angekommen wäre. Ich denke eher, daß viele der Kollegen sich da einfach keinen Kopp machen und schlicht aus Gewohnheit am Limiter fahren. Ich selber fahre im Fernverkehr meist 84: schnell genug, um die Kollegen nicht allzusehr zu nerven, aber langsam genug, um deutlich Überholreserve zu haben, wenn einer noch langsamer ist 🙂
Überläufer: Was ist die größte Herausforderung in dem Beruf des Fernfahrers?
Dieter: Sicherheit. Sowohl beim Fahren – konzentriert und aufmerksam bleiben ist bei bis zu 10 Stunden Lenkzeit täglich nicht immer so einfach – als auch und vor allem bei der Ladungssicherung.
Überläufer: Du sagtest, dass Freizeit nur auf dem Autohof stattfindet. Wie kann ich mir das vorstellen?
Dieter: Das handhabt jeder anders. Viele haben Fernseher an Bord, oft gibt es Spielotheken an Autohöfen – und ich halte Spielsucht auch neben Nikotin- und Alkoholsucht für bedeutende Probleme im Kollegenkreis –, mancher wird wohl auch die ebenfalls auffallend häufigen Rotlicht-Etablissements frequentieren oder eine Runde joggen gehen. Ich war mit meinem Laptop und meiner Ukulele zufrieden 🙂
Überläufer: So ein Ukulelespiel ist bestimmt mal etwas ganz anderes und halte das tatsächlich für sehr ungewöhnlich, auch wenn ich das nicht verallgemeinern kann aufgrund meines fehlenden Kontakts zu Fernfahrern. Ich stelle mir es allerdings sehr schwierig vor, wenn man so viel Zeit in der Kabine verbringt dort noch Zeit und Raum für Freunde zu finden. Inwiefern ist dieses Problem tatsächlich real?
Dieter: Das war letztlich der Grund, daß ich nach etwa 15 Jahren mit dem Fernverkehr aufgehört habe: alle Aspekte des Privatlebens gehen an Zeitmangel zugrunde. Ich kenne zwar auch Kollegen, die seit Jahrzehnten glücklich verheiratet sind, aber für mich zumindest war der Zeitmangel (und die Erschöpfung auch am Wochenende) echt ein Problem. Das war anfangs ganz lustig und dann lange noch okay, aber irgendwann war dann auch mal gut.
Überläufer: Was motiviert einen so viel weit von zu Hause zu arbeiten unter diesen Bedingungen?
Dieter: Mein Mantra war immer: Um diesen Job machen zu können, mußt Du zwei Aussagen für Dich unterschreiben können. Erstens: Autofahren als solches ist keine Arbeit. Und zweitens: Freizeit ist auch dann Freizeit, wenn sie nicht zuhause stattfindet. Dann geht’s. 😉 Aber der Job hat halt auch Vorteile: man hat seine Ruhe (ich hab ein paarmal am Tag mit der Disposition telefoniert, das war’s), man kann sich die Arbeit zum Teil selber einteilen (müde? Dann fahr ich halt rechts ran und penne ne halbe Stunde, mach das mal in einem Bürojob) und jede Menge Zeit für Musik, Hörbücher und Podcasts.
Überläufer: Klingt tatsächlich außerordentlich positiv. Doch mein Bild ist eher geprägt von Spediteuren, die sich nicht an die Vorschriften halten und die Fahrer sehr geknechtet werden. Inwiefern hast du solche Praktiken mitbekommen?
Dieter: Selber praktisch gar nicht. Klar wurde es manchmal terminlich eng, aber zum Überschreiten der Vorschriften genötigt wurde ich nie. Solche “schwarzen Schafe” gibt es sicher, auch wenn das mit der Einführung des Digitalen Kontrollgeräts (früher Fahrtenschreiber genannt) sehr abgenommen hat, weil man halt nicht mehr so leicht Fahrtenscheiben “verschwinden” lassen kann. Aber ein Arbeitgeber, der sowas von mir verlangt, käme für mich eh nicht in Frage. Dienst nach Vorschrift ist wirklich genug.
Überläufer: So wie du das beschreibst, klingt der Beruf des Fernfahrers nicht so prekär, wie ich es mir vorgestellt habe, obwohl mich es sehr belasten würde, wenn ich meine Freunde vernachlässigen müsste. Inwieweit hätte sich deine Motivation Fernfahrer zu sein geändert, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gegeben hätte?
Dieter: Das ist eine spannende Frage. Grundsätzlich wären Teilzeitmodelle meines Erachtens geeignet, den Job attraktiver zu machen. Das Problem ist dabei, daß der “eigene” LKW in der Branche immer noch als Qualitätsmerkmal des Arbeitgebers gilt. Wenn man darin wohnt, ist das ja auch verständlich. Die Kehrseite ist aber, daß ein stehender LKW Geld kostet, statt es zu verdienen. Das motiviert die Spediteure, alles an Fahrzeit aus den Fahrern zu holen, was die Vorschriften zulassen.
Wenn man da einen Weg fände, wie sich z.B. zwei Fahrer für je eine Dreitagewoche oder im wochenweisen Wechsel einen LKW teilen könnten, ohne daß es dabei Streit wegen Sauberkeit, Ordnung oder Ausstattung gibt – und den gibt es oft –, könnte das sicher für mehr Attraktivität des Berufs sorgen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zusätzlich die wirtschaftlichen Einbußen so eines Teilzeitmodells abfedern. Das wäre schon ein Traum.
Überläufer: Was würdest du denn mit deiner gewonnenen Freizeit anfangen, wenn du nur noch teilzeit arbeiten würdest?
Dieter: Alles, was sonst zu kurz kommt: Familie, Freunde, Hobbies. Ich könnte mir aber auch ehrenamtliches Engagement z.B. bei der Feuerwehr oder dem THW vorstellen – da werden ja auch Fahrer gebraucht 🙂
Überläufer: Was konkret motiviert dich denn, trotz der Möglichkeit ohne zu Arbeit durch ein Grundeinkommen zu leben, zu arbeiten?
Dieter: Es mag schlicht klingen, aber die Arbeit macht Spaß. Und es ist ja auch ein gutes Gefühl, den Laden am Laufen zu halten! Irgendwer muß ja Eure Autoteile (bisher) bzw. Amazon-Päckchen (jetzt) von A nach B bringen. Das macht mir Spaß, das kann ich gut, also warum sollte ich damit aufhören? Mehr Freizeit wäre halt nett, aber nur Freizeit wär auch nix für mich – das kenne ich aus zwei langen Krankheitsphasen zur Genüge.
Überläufer: Gut, dass du jetzt wieder gesund bist. Natürlich bereitet es Freude Kompetenz zu erleben und etwas Sinnvolles zu tun. Und doch wird im Alltag der Arbeitslose als faul beschrieben, der selbst Schuld ist an seinem Dasein. Dass dies ein Zerrbild ist, um den Status Quo aufrecht zu halten, ist verständlich. Aber was wird aus all den Menschen mit Berufen, die automatisiert werden können?
Dieter: Ich denke, wir müssen weg von diesen 35/45-Stunden-Modellen. Die waren damals ja auch auf “Alleinernährer” plus Hausfrau/Mutter zugeschnitten und passen nicht mehr zu den diverseren Lebensentwürfen von heute. Man müßte halt die Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung nutzen, um die Arbeitszeiten zu verkürzen und zu flexibilisieren, statt immer nur die Konzerngewinne zu steigern. Das alte Lied 🙁
Überläufer: Bisher werden die Armen gegeneinander ausgespielt. Die Mindestlöhner gegen die Hartzer und Aufstocker. Dazu gibt es dann noch Scheinidentitäten wie Apple-Nutzer oder Windowsnutzer oder Linuxverwender und dann noch Spaltung durch Rasse, Geschlecht oder sozialer Herkunft. Auch das Umweltproblem sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Inwiefern gibt es noch Hoffnung, dass wir uns gegen den Trend der Maximierung der Konzerngewinne stellen und tatsächlich für uns und den Planeten etwas zum Positiven ändern?
Dieter: Da ist meine Kristallkugel auch nicht besser als Deine. Ich denke schon, daß all diese Probleme, mit Ausnahme der Klimapokalypse, grundsätzlich lösbar wären, aber ob das in der bis zu deren vollem Ausmaß verbleibenden Zeit noch gelingt? Ich bin da eher pessimistisch, leider.
Überläufer: Ich blicke bei all den eben genannten Themen sehr düster in die Zukunft. Das Prinzip Teilen und Herrschen ist sehr alt und wurde immer wieder perfektioniert. Zum Schluss möchte ich mit dir noch über Vorurteile gegen Fernfahrer sprechen. Welche Vorurteile über Fernfahrer nerven dich am meisten und warum?
Dieter: Oft werden wir als dumme, egoistische Vollgasjunkies dargestellt, die öfter Radfahrer plattfahren als duschen. Sicher ist manches davon auch in Haltung und Handlungen einiger Kollegen begründet; einen wahren Kern hat ja fast jedes Vorurteil. Aber wir sind nicht nur nicht alle so, die meisten sind ganz normale, okaye Menschen. Sicher introvertierter als der Bevölkerungsdurchschnitt, aber meines Erachtens nicht dümmer. Das nervt mich übrigens auch bei den Berufskraftfahrern untereinander: die Speditionsfahrer kucken runter auf die “Kistenschieber” (Container- und Wechselbrückenfahrer), diese auf die 7,5-Tonner-Fahrer und die Süd- und Osteuropäer und alle zusammen auf die armen Schweine in den sogenamnten “Polensprintern”. Meines Erachtens ist das genau derselbe Effekt, wie Du ihn oben beim Gegeneinander-Ausspielen beschrieben hast. Mehr Kollegialität (und in dem Zusammenhang auch mehr gewerkschaftliche Organisation) würde uns sicher guttun, aber wir sind halt eine Bande von Einzelgängern …
Überläufer: Also bei den Fernfahrern gibt es eine klare Hackordnung mit einem klaren oben und unten?
Dieter: Wahrscheinlich gibt es ungefähr genausoviele Hackordnungen wie Fahrer, wir sind schließlich Einzelgänger. 😉 Aber ja, ich habe auch schon Diskriminierungen nach LKW-Marke oder Spedition erlebt 🙁
Überläufer: Das ist schon heftig, aber nicht überraschend und deckt sich mit meinen Beobachtungen. Ich habe noch ein Vorurteil im Kopf, von dem ich gern wüsste, wie viel dran ist. Inwiefern stimmt das Vorurteil, dass Fernfahrer in ihren Kabinen schlafen?
Dieter: Wie eingangs geschrieben: Das ist unter der Woche im Fernverkehr die Regel. Am Wochenende ist es seit einigen Jahren verboten, wird aber trotzdem teilweise gemacht — man muß ja nur mal sonntags offenen Augs über Autobahnraststätten oder durch Industriegebiete gehen.
Überläufer: Bevor ich den Wortwechsel beende, möchte ich dir noch die Möglichkeit geben, dass du für deinen eigenen Blog wirbst.
Dieter: Danke. Schlabonskis Welt ist kein Themenblog und auch kein Tagebuchblog, sondern eigentlich nur meine “allesfressende Müllhalde”, wo an Texten und Bilden landet, was anderswo nicht hinpaßt. Meistens ist es auch nicht so furchtbar ernstgemeint, mir wurde sogar schon gesagt, daß es stellenweise ganz lustig sei. Was es aber definitiv ist, ist Urgestein: zusammen mit seinen Vorgängerseiten in handgeklöppeltem HTML geht das Ganze schon langsam auf sein silbernes Onlinejubiläum zu. Und das zumindest ist ja schon mal was, oder?
Überläufer: Selbstverständlich. Überläufer gibt es erst seit etwa 15 Monaten. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Jubiläum. Vielen Dank für das Gespräch. Das waren Dieter und Überläufer, das Spinnennetz auf der Datenautobahn des Unrechts.
Dieter: Auch ich danke für das nette Gespräch und heiße den Überläufer herzlich willkommen als Neuankömmling in der Blogosphäre 😉
4 Kommentare
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Liebe Grüße vom Nussbaumparkett der Dekadenz und noch einmal vielen Dank für das interessante Gespräch.
Autor
Der Dank geht zurück! (Aber nicht wg. Annahme verweigert, wohlgemerkt 😉
Gutes Interview. Damit meine ich nicht nur deine interessanten Antworten, sondern auch die teils (bis auf eine!) sehr gut gestellten Fragen.
Da schau her, ein ehemaliger Kollege. Bin ebenfalls mal 15 Jahre lang ferngefahren.
Gruß, aus Wien