Mercedes 207 D Doppelkabine
Die schöne Tradition des Fahrberichts in dieser Newsgroup (Anmerkung des Importeurs: siehe Erläuterung im letzten Absatz) verdient es, erhalten zu bleiben. Aber immer nur Neu- und Familienwagen? Hier mal ein Fahrbericht über ein Spaß-Auto der etwas anderen Sorte: ein 207 D Pritschenwagen mit Doppelkabine, den ich unlängst mal ein paar Stunden fahren durfte.
In seidenmattem Müllwagenorange steht sie vor mir. So eine Mercedes-Pritsche ist kein kleines Auto, selbst wenn man VW-Transporter gewohnt ist. Man spürt: dies ist ein richtiger Laster. Könnte es auch ein solches werden? Neugierig wird der Wagen umrundet. Gut, die Spaltmaße sind nicht mehr so recht piëchkompatibel nach bald 20 Jahren, die Lackqualität ist stark schwankend (von original-verkratzt über spachtel-übergesprüht bis flüchtig-aufgequastet), und im hinteren Bereich ist das Fahrzeug nahezu einfarbig ziegelrot (ein Tribut an seinen Alltagsjob als Baustellenpritsche). Und dennoch: das Design muß als gelungen gelten, und der Gesamteindruck ist der eines überaus kompetenten Nutzfahrzeugs. Lediglich die winzigen Schlußleuchten verraten auch dem Nichteingeweihten das Alter.
Also besteigen wir mal den Arbeitsplatz. Das erweist sich angesichts des fehlenden Entriegelungsknopfes am Türschloß als unerwartet nichttrivial; ein beherzter Griff durch das offene Fenster zum inneren Entriegelungshebel löst das Dilemma. Das Besteigen der Kabine erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, da die zu diesem Zweck eigentlich vorgesehene Trittstufe hinter dem Radkasten in weiten Teilen durch Abwesenheit glänzt und nur noch von der Gummiauflage zusammengehalten wird. Im Lauf der Erprobung werde ich das mehrmals vergessen und ein Häufchen Rostkrümel als mahnendes Andenken zurücklassen.
Doch nun sitze ich erstmal, angenehm hoch und recht bequem, und lasse den Blick über die Armaturentafel schweifen. Viel zu sehen gibt’s indes nicht: Softlack, Holz, Leder und Carbon glänzen erfreulicherweise durch Abwesenheit, doch das vorhandene schwarze Hartplastik ist immerhin übersichtlich und ergonomisch angeordnet und in einer angesichts des Allgemeinzustandes des Fahrzeuges bemerkenswert unbeschädigten Verfassung. Das Instrumentenbrett wird dominiert von einem riesigen Tacho mit aufgeklebten Schaltmarken, um den herum Kontrollleuchten vom Charme eines 60er-Jahre-Herdes locker gruppiert sind. Die Bedienung gibt keine Rätsel auf: Drehschalter fürs Licht wie bei Mercedes üblich, alles andere wie in jedem normalen PKW – nur deutlich robuster und dafür weniger durchdesigned. Aber das muß ja nichts Schlechtes sein.
Etwas reumütig, weil ich die Rudolf-Diesel-Gedenkminute mit Schauen statt Gedenken verschwendet habe, starte ich das Triebwerk. Der bewährte Vierzylinder springt ohne Gas willig an und verfällt sofort in ein stoisches, nicht einmal übermäßig lautes Gröckeln, das jeden, der wie ich in den 70er und 80er Jahren Stadtkind im Westdeutschland war, sofort an die /8er- und W 123-Taxen gemahnt, die ja seither fast unbemerkt, da ausgesprochen allmählich aus dem Straßenbild geschieden sind und modernen, plastbehängten, windkanalgebügelten Gefährten mit der akustischen Anmutung eines Staubsaugers mit Lagerschaden weichen mußten, an denen der gute Stern wirkt wie eine Blumenvase am Armaturenbrett eines “New Beetle”. Aber nun gut.
Das Sortieren der immerhin fünf Gänge fällt nicht leicht: der erste liegt nicht nur links unten, sondern erweist sich auch als ausgesprochen störrischer Geselle. Nach einigem Gewürge versuche ich beim dritten oder vierten Anfahren mal den zweiten als Anfahrgang, und siehe da: souverän setzt sich die Fuhre in Bewegung. Die Gänge zwei bis fünf liegen da, wo man eins bis vier erwartet, und lassen sich auch so nutzen. Früh geschaltet und dem angesichts der mit 70 PS bescheidenen Leistung überraschend kräftigen Drehmoment vertrauend, läßt man den Wagen locker laufen – Stadttempo plus MwSt. ist lässig erreicht, und der Fünfte reicht auch hinunter bis in die Bereiche der 30-Zonen. So gefahren, bleibt auch das Geräusch sehr angenehm, wie auch sonst Sitz- und Federungskomfort wenig Wünsche übriglassen. So ab 65, 70 wird’s dann aber doch angestrengt, und auf der Celler Tangente konnte ich das Gefährt in den dort üblichen kurzen 70-Zonen nicht ernsthaft in für Flensburger Punkte relevante Geschwindigkeitsbereiche treiben. Aber schließlich hatte ich dazu auch genausowenig Lust wie der Motor.
Sonst wird man des lasterhaften Wesens des 207 D eigentlich nur gewahr, wenn man seine erhebliche Breite auf einer der schwindsüchtigen Fahrspuren, die die weniger zahlreichen, aber breiteren aus seiner Jugendzeit inzwischen vielerorts ersetzen, unterzubringen sucht oder unbedacht in eine Kurve sticht, um dann an der sehr indirekten, aber dafür trotz fehlenden Servos recht erträglich leichtgängigen Lenkung mächtig ins Kurbeln zu geraten. Die sehr souveräne Sitzposition entschädigt aber für vieles: auch den ja auch immer flacher werdenden Siebeneinhalb-Tonnern sieht man schon fast Aug in Auge, und ein aus dem eigenen Golf so bedrohlich wirkender Touareg oder ML fällt optisch unter Kleinwagen. Trotzdem ist die Übersicht bemerkenswert gut, nur die neckische kleine Stups-Motorhaube entzieht sich den Blicken, aber so lang, daß das ein Problem wäre, ist sie ja auch nicht.
Die kampferprobte Optik meines Testwagens führt als Zugabe dazu, daß die umgebenden Verkehrsteilnehmer respektvoll Abstand in alle Richtungen halten – ob aus Angst vor einem erratischen Fahrmanöver mit folgendem Blechkontakt, der, man mache sich da keine Illusionen, dem anderen Fahrzeug weitaus mehr Schaden zufügen würde als meinem, oder aus Vorsicht, es könne Ziegelstaub oder Rost den glänzenden Lack beschmutzen – man weiß es nicht.
Was ich aber genau weiß, ist, daß dieser Laster mich beeindruckt hat. Er war nicht der erste seiner Art, den zu pilotieren ich das Vergnügen hatte – aber er war der mit Abstand schlechtesterhaltene. Und dennoch: selbst dieses Nutzfahrzeug, dessen Zustand mit “untot” noch am treffendsten zu umschreiben ist, verübte einen unnachahmlichen Charme. Komm, schien es zu flüstern (nein: mit rauchiger Stimme zu raunen, das paßt besser), komm, wenn Du was zu schleppen hast: ich erledige das für Dich. Wieviel, wie schwer, wie dreckig, wie weit? Egal. Wir packen das. Ich hab in meinem Leben schon Dinge geschleppt, die hast Du nicht mal *gesehen* – und Du willst an mir zweifeln?
Nö. Wollte ich dann auch gar nicht mehr. Aber ich sehe jetzt seine Artgenossen mit anderen Augen. Denn vielen 207ern, auch und gerade den Pritschen, ergeht es da draußen in diesen Tagen nicht anders: geschunden, getreten, verbraucht, verheizt fristen sie ihre letzten Monate, und vermutlich ist niemand überraschter als der (Firmen-)Besitzer selbst, wenn sie wieder und wieder die TÜV-Hürde nehmen, als wär’s nur eine weitere verschlammte Baustelle, und sich so für weitere zwei Jahre des Sterbens auf Raten qualifizieren. Ein hartes Leben hat so ein Laster, aber wenn er gehätschelt werden hätte wollen, wär er eben besser als Wohnmobil oder wenigstens Kombi auf die Welt gekommen. Und, Respekt: während die Transits, Fiats und LTs aus jenen Jahren sich genauso heimlich aus dem Straßenbild verkrümelt haben wie die oben erwähnten Taxen, der 207 und seine Verwandten bis rauf zum 410 sind immer noch präsent. So ein echter Mercedes ist eben zäh. “Tougher than the rest”, würde Springsteen singen.
Und auch wenn ich angesichts der wirklich restlos verbrauchten Substanz nicht mal 10 Sekunden ernsthaft darüber nachdachte, genau dieses Exemplar für einen hart bei Null liegenden Betrag zu erwerben – er wird mir leid tun, wenn er dieser Tage in der Presse landen wird, und wenn dereinst einer seiner Artgenossen mir mit rauchigem Gröckeln ein kleines Abenteuer zwischendurch anbieten wird: ich werde mit Freuden annehmen.
Und wer weiß? Vielleicht wird ja dann auch mal was Festeres draus.
Dieser Artikel erschien am 3.8.2004 in der Usenet-Gruppe de.etc.fahrzeug.auto, lag einen Tag später dann auch auf ermel.org im Web und lebt seit November 2017 hier — aber mit dem Datum von damals, damit niemand denkt, er sei aktuell
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