Waih-Tu-Käi

Der Euro ist nun glücklich überstanden, alle Probleme sind ausgemerzt, und wenn nicht, dann hat es wenigstens keiner gemerkt. Die Unheilspropheten allerorten, anstatt zu verstummen, haben ein neues Thema. Das heißt, eigentlich ein altes, ein uraltes sogar. Es heißt, zeitgemäß neumittelhochenglisch-abgek., "Y2K".

Es ist eine Ironie des Schicksals, daß der Begriff, mit dem das Problem bezeichnet wird, nämlich "Waih-Tu-Käi", genauso entstanden ist wie das Problem selbst: 1. durch Abkürzung und 2. durch Faulheit.

Und außerdem natürlich, weil Speicher für zwei zusätzliche Zahlen dem Fossil-Hacker von damals den Raumverlust für die Kaffeemaschine, dem Donut-Automaten und die Tittenbilder von Marlene Dietrich bedeutet hätte. Und so dachten Programmierer mit der ihnen eigenen Weitsicht, daß man die Jahre nur zweistellig speichern müsse bei der voraussichtlichen Lebenserwartung der Programme (und angesichts der Qualität der Kaffeemaschinen und der daraus tröpfelnden Flüssigkeiten wohl auch der Programmierer).

Damals, als die Luft wohl zu sauber war und das Wasser noch Fische hatte, mag dies wohl richtig gewesen sein. Schade nur, daß die Programmierer mehr damit zu tun hatten, ihre Textkonsolenprogramme bunter und geiler zu machen, als sich um die Abfallbeseitigung, auch unter Datenverwaltung bekannt, zu kümmern. Das Verwursten ihrer Altscheiße in kleine bunte Fensterprogramme war damals ja auch wichtiger.

Heute haben wird den Salat: Die Programme sind 32bittig, bunter und dreidimensionaler geworden, aber dafür kommen die Daten heute genauso lahmarschig zu Tage als zu der Zeit, als der Strom für einen Rechner noch von einem Kraftwerk erzeugt wurde. Und Jahreszahlen werden selbstverständlich immer noch zweistellig gespeichert, eingegeben und angezeigt. Schließlich kann ja dem DAU, dem PBCK (Problem Between Chair and Keyboard) nicht plötzlich zugemutet werden, ZWEI zusätzliche Ziffern einzutippern! Und außerdem ist das so Standard.

Jetzt sind es nur noch wenige Monate, bis die Hamsterkäufe einsetzen. Alles, was wir dafür brauchen, ist eine BLÖD-Zeitung, die Waih-Tu-Käi als prima Titelthema neben dem prophezeiten Meteoritenabsturz fürs Sommerloch entdeckt und sorgfältig recherchierte Spekulationen über russische Reaktoren (weckt Urinstinkte von 1986) oder chinesische Langstreckenraketen (weil nicht nachprüfbar) verbreitet. Nebenbei natürlich unterschwellig das Herrenrassendenken schürend, denn bei uns passiert sowas natürlich nicht!

Die Wirklichkeit sieht ein wenig anders aus. Stromausfälle hatten wir ja schon, in einer Stadt namens Hangover an der Leine, als man Waih-Tu-Käi-Tests durchführte. Das ist vermutlich, so lehren uns zumindest die Unkenrufer ("Unk!, Unk!", schallt's allenthalben), nur die Spitze des Eisbergs. Und so werden wir vielleicht ein paar Tage kein Geld abheben können, ohne dem Bankangestellten unters gestrenge Auge zu treten im Bewußtsein, daß unser Dispo mal wieder überzogen ist. So wird es vielleicht ein paar Tage keinen Tittenfunk aus Luxemburg geben. So wird vielleicht, Gott bewahre!, gar FFN ein paar Minuten vom Äther gehen (oder hege ich da zuviel Hoffnung?). Welch gar katastrophale Aussichten.

Aber die Weltuntergangsstimmung, die allerorten verbreitet wird, vermag ich leider nicht nachzuvollziehen. Einschläge von Lufthansa-Jets muten mir jedenfalls wahrscheinlicher an als solche von ICBMs, denn die Betreiber der letzteren können es sich eher leisten, sie sicherheitshalber am 31.12.99 für ein paar Tage außer Betrieb zu nehmen, wenn sie sich ihrer Sache nicht sicher sind. Außerdem fürchten die vermutlich mehr um ihr Leben als Lufthansa-Manager. Die fürchten höchstens, daß die vielen Schadensersatzforderungen der Angehörigen in Form von Klageschriften und brennenden Kerosinproben vielleicht dem Wort "Verantwortungsbewußtsein" eine in dieser Branche selten erfahrene Bedeutung geben könnten.

Ansonsten wird's ein Sylvester wie jedes andere werden, bloß ein paar dB oder Sone oder wasweißich lauter als gewohnt. Die hellsten Beiträge werden allenfalls die bis dato unerkannten Großfeuerwerkskörper in Form von Industrieanlagen o.ä. sein; sicher werden auch mehr von uns ins Gras beißen als letztes Mal, allein schon weil mehr der Debilen sich dem Verballern von Weihnachtsgeld und Trommelfell widmen werden. Aber der Untergang der menschlichen Zivilisation?

Das ist zu optimistisch. So schnell kriegen wir uns nun doch nicht kaputt.

Es sind noch ein paar Monate, in denen die Softwarebranche Milliarden scheffeln und nichts tun wird, in denen die Bekloppten Bunker bauen und Vorräte anlegen werden, in denen sich mit dem Verbreiten von Weltuntergangsstimmung Millionen machen lassen. Nicht zu vergessen die heimischen Sekten, die jedem, der nicht an die heilige Selbstvernichtung glaubt und dafür auch zu zahlen gewillt ist, den Zorn Gottes oder wenigstens Montezumas Rache androhen.

Und dann?

Dann beginnen karge Zeiten des Fegens und Aufwischens. So könnte man meinen. Aber ich habe da weniger Angst. Die nächste Naturkatastrophe kommt bestimmt:

Dabbeljuh-Tu-Käi. Auch "Windows 2000" genannt. Viel Spaß damit wünscht

Euer Dieter Schlabonski.

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