Von Chaoten lernen

Den größten Teil des Augusts berufskraftfuhr ich ja für das Chaos Communication Camp, jene vierjährliche Veranstaltung des Chaos Computer Club CCC, in deren Zuge sich ein ansonsten infrastruktrell eher benachteiligter Brandenburger Acker für eine knappe Woche in die Europazentrale alles Bunten, Freakigen, Freundlichen und Ausgeflippten verwandelt — und nebenbei auch in einen der zentralen Knotenpunkte des europäischen Internet.

Symbolbild.

Nachdem das dann Ende August vorbei war, fiel mir auf, wieviel weniger angenehm das Fahren für eine ganz normale Spedition ist.  Und da sich einige Leute für das Warum interessierten, dachte ich mir, hey, was solls, Schlabonskis Welt ist ja ein Serviceblog, schreib ich das halt mal auf.  Vielleicht lesen ja Disponenten mit.  (Hoffentlich nicht meine.)

Wenn Ihr schon lügt, dann lügt wenigstens besser

Gleich Montag ging es los: Die Ware müsse uun-bee-dingt heute noch zum Kunden, das sei wirklich unfaßbar wichtig, so ward mir beschieden.  Nun bin ich ja nicht der Typ, der Unmögliches nicht möglich macht, wenn es irgendwie geht — und so stand ich dann mit legal überzogener Schichtzeit und ebensolcher Fahrzeit und eigentlich auch allen anderen irgendwie legal überziehbaren Zeiten um 20:02 bei selbigem Kunden — und der wußte von nix, werde das sowieso heut nicht mehr entladen und auch morgen nicht, weil es eh woanders hinmüsse, und wer habe mir eigentlich gesagt, daß das heut noch entladen werde und ich an der Rampe übernachten könne?  Mein Disponent, sag ich.  Und er so: Naja, Disponenten lügen halt, wenn sie das Maul aufmachen.  (Seine Worte, nicht die meinen.)

Und nun mag es natürlich sein, daß nicht mein Disponent gelogen hat, sondern der Typ beim Kunden.  Kann ich nicht feststellen.  Aber auf meine zart unmutige Mail an ersteren, in der ich den Verlauf des Abends kundtat und meine Verstimmung darüber, mir somit völlig umsonst den Arsch aufgerissen zu haben, kam folgende einzeilige Antwort:

Was ihr Fahrer meint und der Kunde entscheidend sind 2 dinge.

Ach.  Völlig neue Erkenntnis.  Aber nur so nebenbei: Das Moderieren zwischen den Anforderungen des Kunden und den Möglichkeiten des Fahrers ist genau dein, des Disponenten, Job.  Und selbst wenn der Kunde das alles gefordert hat, was du so behauptet hast mir gegenüber, nur um sich dann völlig dummzustellen und von nix zu wissen — dann ist es immer noch dein Job, zu vermitteln.  Wäre dir bei einem “ja, dumm gelaufen, sorry” echt ein Zacken aus der Krone gefallen?

Wer sich bei Interessenskonflikten zwischen Kunden und Fahrern immer auf des Kunden Seite stellt, hat irgendwann keine Fahrer mehr.  Zumindest keine so guten, daß die eine Wahl haben.  Meinjanur.  (Und immer vorraussetzend, daß die Verdaddelung hier wirklich beim Kunden lag und nicht bei dir.  Wovon ich keineswegs überzeugt bin.  Ich sag nur “dringendes Leergut”.)

TL;DR?  Okay.  Stichpunkte:

How to talk to truckers (Checkliste für Disponenten)

  • Es ist überhaupt nicht schlimm, eine Ladung als dringend, wichtig, unbedingt-heute-noch-ankommen-müssend zu bezeichnen.  Wenn sie es denn ist.  Wie jeder Hinweis nutzt sich auch dieser ab, wenn man ihn zu oft anbringt.  Wenn ihr jede Woche Feuer schreit, glaubt euch irgendwann keiner mehr, daß es brennt — auch wenn es das wirklich tut.
  • Der Kunde mag immer recht haben, aber auch der Fahrer erzählt euch nicht immer nur einen vom Pferd.  Ich mach das nun schon ein paar Jahre, und wenn ich sage, hmm, 672 km an einem Tag könnte knapp werden, dann könnt ihr das ruhig glauben.
  • Ich hole gerne auch mal Kohlen aus dem Feuer, aber wenn die Brandblasen zwischendurch nicht mal Zeit zum Verheilen haben, läuft irgendwas schief.
  • Fahrer sind Menschen.  Behandelt sie bitte ab und zu mal auch so.

 

Und was hat das mit dem CCC zu tun?  Ja nix.  Darum geht’s hier doch gerade.  Während ich für die Camp-Logistik unterwegs war, kam ich mir gelegentlich fast verarscht vor — “es wäre gut, wenn du morgen um 7 losfahren könntest, wäre das möglich?”  Ja natürlich ist das möglich, dafür habt ihr mich doch gebucht!  Diese Höflichkeit als das zu sehen, was sie war — tatsächliche Höflichkeit und Wertschätzung, ohne Sarkasmus oder Schleimerei — fiel mir nicht immer leicht.  Und das lag aber nicht an denen, die sie aussprachen, sondern an dem, was ich sonst so gewohnt bin.

Und dann kam der Moment, der mich wirklich geflasht hat.  Ich habe in einem internen Chat den Freunden vom C3LOC (Chaos Computer Club Logistics Operation Center) erzählt, daß die letzten paar Tage in der realen Welt viel stressiger waren als das gesamte Camp, und bekam als Antwort eben nicht ein “Danke” oder so, sondern ehrliches Interesse:

  • Ich kann mir zwar an einigen Punkten vorstellen, warum das so ist (oder: was anders ist), aber ich würd das tatsächlich auch gerne nochmal aus deiner Sicht hören 🙂
  • Ist ja auch so ein “das sollten wir unbedingt weiter so machen!”, weil es vermutlich auch den anderen LKW Fahrern und Lieferanten dann positiv auffällt

Beschwichtigend erwiderte ich:

  • Schreib ich nachher mal auf, aber das meiste ist nix, was im Einflußbereich des Verladers (=CCCV) läge

… und bekam als Antwort:

  • ist für uns denke ich trotzdem interessant, Perspektive ist immer gut

Genau das liebe ich an den Menschen aus dem Chaosumfeld: sie interessieren sich für andere, auch wenn es sie selber eigentlich gar nicht betrifft.  Das hat man im normalen Leben viel zu wenig — und ich schließe mich selber da auch gar nicht aus.

Und deswegen kommt jetzt der eigentlich wichtige Teil dieses Postings:

Wie man LKW-Fahrern was Gutes tut (Checkliste für Ver- und Entlader)

  • LKW-Fahrer sind Menschen.  Behandelt sie auch so.
  • Ausländische LKW-Fahrer sind nicht doof, weil sie kein Deutsch können.  Kannst du Ukrainisch?  Wenn ja, benutze es.  Wenn nein, stell dir vor, du stehst in der Ukraine beim Kunden.  Empathie!
  • Auch ein Lächeln und ein “Bitte” kann eine Menge bewirken.  Aber keine übertriebene Höflichkeit — wer LKW-Fahrer z.B. siezt, zeigt damit nur, daß er nicht viel mit ihnen zu tun hatte bislang.
  • Beim Be- oder Entladen nicht sinnlos trödeln.  Fast jeder wird verstehen, wenn der Staplerfahrer etwas langsamer ist, weil er nicht jeden Tag Stapler fährt — aber wenn er zwischendurch was anderes macht, kann man schon mal ungeduldig werden als Fahrer.
  • Das kann man aber mit Annehmlichkeiten teilweise kompensieren.  Ein Fahrer, der erstmal einen Kaffee oder ein Kaltgetränk bekommen hat, je nach Jahreszeit, wird schon viel entspannter an die Sache herangehen.
  • Wer ein Übriges tun will, kann sich da natürlich noch weiter aus dem Fenster lehnen.  Wer einen LKW-Fahrer seine Thermoskanne mit Kaffee auffüllen läßt, ihm eine Flasche Gekühltes zum Mitnehmen in die Hand drückt, ihm je nach Tages- und Schichtzeit eine Dusche, eine Mahlzeit oder einen sicheren Standplatz zur Übernachtung anbietet, der muß sich um eine Viertelstunde oder drei Verzögerung meist keinen Kopp mehr machen, denn er hat einen neuen Fan gewonnen 🙂
  • Wer etwas Eß- oder Trinkbares herstellt, ist gut beraten, im Ladebereich eine kleine Auswahl seiner Produkte zum Mitnehmen hinzustellen, und wenn es zweite Wahl ist.  Das dadurch erzeugte Wohlwollen steht in keinem sinnvollen Verhältnis zum Warenwert!

Wem das jetzt banal vorkommt: Ja! Ist es!  Umso erstaunlicher finde ich, daß sich derlei Erkenntnis nicht nur nicht allgemein durchgesetzt hat, sondern im Gegenteil nur äußerst selten zu finden ist.  Was Kunden, die diese Dinge oder auch nur einen Teil davon kennen und beherzigen, umso strahlender herausleuchten läßt aus der Masse.

Und, lieber CCC, liebe CCCV, liebes C3LOC: Macht euch mal keinen Kopp.  In diesem Sinne seid ihr jetzt schon ein Leuchtturm.  Ich bin kein großer Freund des Winters, aber ich freu mich jetzt schon auf Dezember, denn dann ist Chaos Communication Congress, und ich darf so gut wie sicher wieder für euch fahren — “endlich wieder normale Leute!”

Nachtrag: Mir ist noch was eingefallen, was LKW-Fahrer glücklich macht: Kugelschreiber und (für die Raucher, aber das sind überproportional viele in dem Job) Feuerzeuge.  Banale Giveaways, sicher, aber kann man unterwegs erstens immer gebrauchen und erinnert zweitens eine ganze Weile an den Kunden.  Und ja, das könnte ich mir auch im CCC-Umfeld gut vorstellen: bedruckt mit dem Veranstaltungs-Logo wären die sicher auch außerhalb des LOC ein ziemlich begehrtes Andenken, oder?

1 Kommentar

  1. Mit Freude gelesen 😉

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